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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ins Wort. »Leider.«
    Lloyd George kam in den Saal.
    Er war eine kleine, schmale Gestalt in formellem Anzug mit zu langem, ein wenig ungekämmtem Haar. Sein buschiger Schnauzbart war nun vollkommen weiß. Er war dreiundfünfzig, doch seine Schritte hatten etwas Jugendliches, Federndes. Als er sich setzte und irgendetwas zu einem Hinterbänkler sagte, sah Ethel das Lächeln, das ihr von Zeitungsfotos vertraut war.
    Um zehn nach vier begann er mit seiner Rede. Seine Stimme klang ein wenig rau, was er mit der Bemerkung entschuldigte, er habe einen wunden Hals. Dann begann er kurz und bündig: »Ich erscheine heute vor dem Unterhaus mit der schrecklichsten Pflicht, die je auf die Schultern eines Menschen gefallen ist.«
    Das ist ein guter Anfang, überlegte Ethel. Wenigstens würde er die deutsche Note nicht als Trick oder Ablenkung abtun wie die Franzosen und Russen.
    »Jeder Mann oder jede Gruppe von Männern, der oder die willkürlich oder ohne triftigen Grund einen entsetzlichen Konflikt wie diesen in die Länge ziehen würde, würde sich ein Verbrechen aufbürden, von der sie ein ganzes Meer nicht reinwaschen könnte.«
    Das ist ein biblisches Element, dachte Ethel, eine baptistische Anspielung auf das Reinwaschen von den Sünden.
    Doch dann machte er, ganz wie ein Prediger, eine Kehrtwendung. »Jeder Mann oder jede Gruppe von Männern, der oder die aus Müdigkeit oder Verzweiflung heraus einen Kampf aufgäben, ohne dass das Ziel erreicht wäre, dem dieser Kampf dient, würden sich der kostspieligsten Feigheit schuldig machen, die je ein Staatsmann auf sich geladen hat.«
    Ethel wurde unruhig. In welche Richtung würde der Premierminister sich bewegen? Sie dachte an den schrecklichen Tag der Telegramme in Aberowen und sah wieder die Gesichter der Hinterbliebenen vor sich. Gerade Lloyd George würde doch wohl nicht zulassen, dass solches Leid weiterging, wenn er es verhindern konnte? Welchen Sinn hätte Politik dann überhaupt?
    Der Premierminister zitierte Abraham Lincoln: »Wir haben diesen Krieg zu einem Zweck angenommen, einem würdigen Zweck, und der Krieg wird enden, wenn dieser Zweck erreicht ist.«
    Das war ein schlechtes Vorzeichen. Ethel hätte ihn gerne gefragt, was dieser Zweck sei. Woodrow Wilson hatte die gleiche Frage gestellt und noch keine Antwort erhalten. Auch jetzt wurde keine Antwort gegeben, denn Lloyd George erklärte: »Werden wir diesen Zweck erreichen, indem wir das Angebot des deutschen Reichskanzlers annehmen? Das ist die einzige Frage, die wir uns stellen müssen.«
    Ethel kam sich hilflos vor. Wie sollte diese Frage diskutiert werden, wenn niemand wusste, worin der Sinn dieses Krieges bestand?
    Lloyd George hob die Stimme wie ein Prediger, der ansetzt, über die Hölle zu sprechen. »Auf Einladung Deutschlands, das sich als siegreich erklärt, in eine Konferenz einzutreten, ohne zu wissen, welche Vorschläge es machen wird …« Er hielt inne und blickte in den Saal, zuerst auf die Liberalen rechts von ihm und hinter sich, dann hinüber zu den Konservativen auf der anderen Seite. »In eine solche Konferenz einzuwilligen würde bedeuten, den Kopf in eine Schlinge zu stecken, während Deutschland das Seil in den Händen hält!«
    Von den Abgeordneten erhob sich lautstarke Zustimmung.
    Lloyd George lehnte das Friedensangebot ab!
    Neben Ethel vergrub Gus Dewar das Gesicht in den Händen.
    Ethel fragte laut: »Was ist mit Alun Pritchard, getötet an der Somme?«
    Der Saaldiener sagte: »Ruhe bitte!«
    Ethel erhob sich. »Sergeant Prophet Jones, tot!«, rief sie.
    Fitz sagte: »Um Gottes willen, setzen Sie sich!«
    Unten im Saal redete Lloyd George weiter; nur ein oder zwei Abgeordnete blickten zur Galerie hinauf.
    »Clive Pugh!«, rief Ethel aus vollem Hals.
    Zwei Saaldiener näherten sich ihr von beiden Seiten.
    »Spotty Llewellyn!«
    Die Saaldiener packten Ethel bei den Armen.
    »Joey Ponti!«, schrie sie; dann zerrte man sie zur Tür hinaus.

Kapitel 22
    Januar bis Februar 1917
    Walter von Ulrich träumte, in einer Pferdekutsche auf dem Weg zu Maud zu sein. Die Kutsche fuhr bergab, wurde gefährlich schnell und sprang über die unebene Straßenoberfläche. Er rief: »Langsamer! Langsamer!«, doch der Fahrer konnte ihn über das Donnern der Hufe hinweg, das einem Automotor seltsam ähnlich klang, nicht hören. Trotz dieser Absonderlichkeit hatte Walter Angst, die Kutsche würde umstürzen, sodass er Maud nie erreichte. Erneut rief er dem Fahrer zu, langsamer zu fahren, und erwachte von

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