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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Saal in der Nähe des Westminster-Palasts eine Kundgebung.
    Sie arbeitete mittlerweile bei der Nationalen Gewerkschaft der Kleidermacher. Ethels Hauptaufgabe bestand im Anwerben von Arbeiterinnen in den Tretmühlen des Eastends, aber die Gewerkschaft hielt es für richtig, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch auf nationaler Ebene für ihre Mitglieder einzutreten.
    Das Ende ihrer Beziehung zu Maud stimmte Ethel traurig. Vielleicht hatte diese Freundschaft zwischen der Schwester eines Earls und seiner ehemaligen Haushälterin von vornherein etwas Künstliches an sich gehabt, doch Ethel hatte gehofft, sie könnten die Klassenschranken überwinden. Im Grunde ihres Herzens war Maud wahrscheinlich stets davon ausgegangen – ohne sich dessen bewusst zu sein –, dass sie zum Befehlen geboren sei, Ethel hingegen zum Gehorchen.
    Ethel hatte gehofft, die Abstimmung im Parlament fände vor dem Ende der Kundgebung statt, damit sie das Ergebnis noch bekannt geben konnte, aber die Debatte zog sich hin, und die Versammlung musste um zehn Uhr abends abgebrochen werden. Ethel und Bernie gingen in eine Gaststätte in Whitehall, wo Labour-Abgeordnete verkehrten, und warteten auf Neuigkeiten.
    Es war elf Uhr durch, und der Wirt wollte gerade schließen, als zwei Abgeordnete in die Gaststätte stürmten. Einer von ihnen entdeckte Ethel. »Wir haben gesiegt!«, rief er. » Ihr habt gesiegt! Ihr Frauen.«
    Sie konnte es kaum glauben. »Der Antrag wurde gebilligt?«
    »Mit überwältigender Mehrheit. Dreihundertsiebenundachtzig zu siebenundfünfzig!«
    »Wir haben gewonnen!« Ethel küsste Bernie. »Gewonnen!«
    »Gut gemacht«, sagte er. »Genieße deinen Sieg. Du hast ihn verdient.«
    Den Sieg begießen konnten sie nicht, denn sie bekamen nichts mehr zu trinken. Neue Bestimmungen, die im Krieg erlassen worden waren, zwangen die Gaststätten, zu bestimmten Stunden zu schließen. Dadurch sollte die Produktivität der arbeitenden Klasse gesteigert werden. Ethel und Bernie gingen über die Whitehall, um einen Bus nach Hause zu nehmen.
    Als sie an der Haltestelle warteten, jubelte Ethel außer sich vor Freude: »Ich kann es kaum fassen. Nach all den Jahren – das Stimmrecht für Frauen!«
    Ein Passant hörte sie, ein großer Mann in Abendgarderobe, der an einem Stock ging.
    Ethel erkannte Fitz.
    »Nicht so voreilig«, sagte er. »Im Oberhaus kommt ihr damit nicht durch.«

Kapitel 27
    Juni bis September 1917
    Walter von Ulrich kletterte aus dem Graben und nahm all seinen Mut zusammen, bevor er sich anschickte, das Niemandsland bis zur russischen Linie zu überqueren.
    Junges Gras und Wildblumen wuchsen in den Granattrichtern. Es war ein milder Sommerabend in einem Landstrich, der einst zu Polen und dann Russland gehört hatte. Nun war diese Gegend von deutschen Truppen besetzt.
    Walter trug einen unauffälligen Mantel über der Uniform eines Gefreiten. Gesicht und Hände hatte er mit Schlamm beschmiert. Dazu trug er eine weiße Kappe wie eine Parlamentärsfahne. Bevor er losging, lud er sich eine Kiste auf die Schulter.
    Keine Bange, beschwor er sich. Es führt zu nichts, Angst zu haben.
    Die russischen Stellungen waren im Zwielicht nur schwach zu erkennen. Seit Wochen schon wurde nicht mehr geschossen, und Walter glaubte, der Feind würde seine Annäherung eher mit Neugier als mit Misstrauen verfolgen.
    Wenn er sich irrte, war er tot.
    Die Russen bereiteten eine Offensive vor. Deutsche Aufklärungsflugzeuge und Kundschafter berichteten von frischen Truppen und Unmengen von Munition, die an die Front gebracht wurden. Von russischen Soldaten, die sich halb verhungert den Deutschen in der Hoffnung auf eine Mahlzeit ergeben hatten, waren diese Meldungen bestätigt worden.
    Diese Beweise für die bevorstehende Offensive bedeuteten eine große Enttäuschung für Walter. Er hatte gehofft, die neue russische Regierung würde nicht mehr in der Lage sein, den Krieg weiterzuführen. In Petrograd verlangten Lenin und die Bolschewiken lautstark den Frieden und publizierten eine Flut von Zeitungen und Flugblättern, bezahlt mit deutschem Geld.
    Das russische Volk wollte den Krieg nicht mehr. Eine Erklärung von Außenminister Pawel Miljukow, dass Russland noch immer einen entscheidenden Sieg anstrebe, hatte erneut wütende Soldaten und Arbeiter auf die Straßen getrieben. Der theatralische junge Kriegsminister Kerenski, der für die erwartete neue Offensive verantwortlich zeichnete, hatte in der Armee die Prügelstrafe wieder eingeführt und die

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