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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Autorität der Offiziere wiederhergestellt. Aber würden die russischen Soldaten kämpfen? Genau das mussten die Deutschen in Erfahrung bringen, und dafür riskierte Walter nun sein Leben.
    Die Vorzeichen waren gemischt. In einigen Frontabschnitten hatten die russischen Soldaten weiße Flaggen gehisst und einseitig den Waffenstillstand erklärt. In anderen Abschnitten wiederum wirkte alles ruhig und diszipliniert.
    Genau einen solchen Abschnitt wollte Walter nun erkunden.
    Er war endlich aus Berlin weggekommen. Wahrscheinlich hatte Monika von der Helbard ihren Eltern geradeheraus gesagt, dass es keine Hochzeit geben würde. Wie auch immer – Walter war wieder an der Front und mit der Aufgabe betraut, Informationen über den Feind zu sammeln.
    Er rückte die Kiste auf seiner Schulter zurecht. Mittlerweile konnte er gut ein halbes Dutzend Köpfe aus dem Graben vor ihm ragen sehen. Sie trugen Mützen; russische Soldaten hatten keine Helme. Die Russen starrten ihn an, richteten aber nicht ihre Waffen auf ihn – noch nicht.
    Walter hatte eine fatalistische Einstellung zum Tod. Er glaubte, nach der wundervollen Nacht in Stockholm als glücklicher Mann zu sterben. Aber er würde es natürlich vorziehen, am Leben zu bleiben, denn er wollte ein Leben mit Maud und wollte Kinder mit ihr haben. Und er hoffte, dieses Leben in einem wohlhabenden, demokratischen Deutschland führen zu können. Dazu aber musste Deutschland den Krieg gewinnen, und das wiederum bedeutete, dass Walter auf diese gefährliche Mission gehen musste, um seinen Beitrag zu leisten. Ihm blieb keine Wahl.
    Dennoch zog sich ihm der Magen zusammen, als er in Schussweite kam. Es war leicht für einen Soldaten, das Gewehr anzulegen und abzudrücken. Genau dafür waren sie schließlich hier.
    Walter hatte kein Gewehr und hoffte, dass die Russen es bemerkten. Allerdings hatte er sich eine P 08 hinten in den Gürtel geschoben, aber diese Waffe konnten die feindlichen Soldaten nicht sehen.
    Jetzt ist es jede Sekunde so weit, ging es Walter durch den Kopf. Ob man den Schuss wohl hört, der einen niederstreckt? Am meisten fürchtete er sich davor, verwundet zu werden und elendig zu verbluten oder in einem von Schmutz starrenden Feldhospital Wundbrand zu bekommen.
    Kurz darauf konnte er die Gesichter der Russen erkennen, und er sah Belustigung, Staunen und Verwunderung darin. Besorgt hielt er nach Anzeichen von Furcht Ausschau, denn das war die größte Gefahr: Bei einem verängstigten Soldaten bestand die Gefahr, dass er feuerte, nur um die unerträgliche Spannung loszuwerden.
    Bald hatte Walter nur noch zehn Meter vor sich; dann erreichte er den Grabenrand. »Seid gegrüßt, Genossen«, sagte er auf Russisch, stellte die Kiste ab und hielt dem nächstbesten Soldaten die Hand hin. Instinktiv ergriff der Mann sie und half Walter, in den Graben zu springen. Eine kleine Gruppe scharte sich um ihn.
    »Ich bin gekommen, um euch eine Frage zu stellen«, sagte Walter.
    Die meisten gebildeten Russen sprachen Deutsch, doch bei den Soldaten handelte es sich zum größten Teil um Bauern, von denen nur sehr wenige eine Fremdsprache beherrschten. Als Junge hatte Walter auf Drängen seines Vaters als Teil seiner Kadettenausbildung Russisch gelernt, um später im Heer oder im diplomatischen Dienst Karriere zu machen. Er hatte seine Russischkenntnisse nur selten benutzt, war sich aber sicher, dass er die Sprache noch gut genug beherrschte, um seine Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
    »Aber erst trinken wir etwas«, sagte er, hob die Kiste in den Graben, riss sie auf und nahm eine Flasche Schnaps heraus. Er öffnete sie, trank einen kräftigen Schluck, wischte sich über den Mund und reichte die Flasche an einen der Soldaten weiter, einen hochgewachsenen Korporal von achtzehn oder neunzehn Jahren. Der Mann grinste, trank ebenfalls und reichte die Flasche seinerseits weiter.
    Unauffällig schaute Walter sich die Umgebung an. Der Graben war schlecht konstruiert. Die Wände waren schräg und nicht mit Balken verstärkt. Der Boden war uneben und besaß keine Laufplanken, obwohl der Schlamm jetzt, im Sommer, allgegenwärtig war. Außerdem verlief der Graben nicht gerade, was allerdings ein Vorteil war, denn es minderte die Wirkung direkter Artillerietreffer. Das Schlimmste war der Gestank. Offensichtlich machten die Männer sich nicht die Mühe, zur Latrine zu gehen. Was stimmte nur nicht mit den Russen? Alles, was sie machten, war Pfusch, schlecht organisiert und halb

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