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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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fertig.
    Während die Flasche die Runde machte, erschien ein Sergeant. »Was ist hier los, Fjodor Igorowitsch?«, fragte er den Korporal. »Warum redest du mit einem deutschen Kuhficker?«
    Fjodor rieb sich den üppigen, auf den Wangen gezwirbelten Schnurrbart. Aus irgendeinem Grund trug er eine Marinemütze, die keck auf seinem Kopf saß. »Der Mann ist in Ordnung«, sagte er. »Kommen Sie, trinken Sie einen Schluck, Sergeant Iwanow.«
    Der Sergeant nahm die Flasche und trank, war aber nicht so umgänglich wie seine Männer. Er schaute Walter misstrauisch an. »Was machst du hier?«
    Walter hatte die Worte auswendig gelernt. »Im Namen der deutschen Arbeiter, Soldaten und Bauern frage ich euch, warum ihr gegen uns kämpft.«
    Nach einem Augenblick verwunderten Schweigens entgegnete Fjodor: »Warum kämpft ihr gegen uns? «
    Walter hatte auch darauf die Antwort parat. »Wir haben keine andere Wahl. Unser Land wird noch immer vom Kaiser regiert. Wir haben noch keine Revolution gemacht, aber ihr. Der Zar hat die Macht verloren. Russland wird jetzt vom Volk regiert. Deshalb bin ich gekommen, um euch, das Volk, zu fragen: Warum kämpft ihr gegen uns?«
    Fjodor blickte Iwanow an und sagte: »Diese Frage stellen wir uns auch immer wieder.«
    Iwanow zuckte nur mit den Schultern.
    Weitere Männer aus dem Graben gesellten sich zu ihnen. Walter öffnete eine zweite Flasche und ließ den Blick über die ausgemergelten, zerlumpten, schmutzigen Gestalten schweifen, die sich gar nicht schnell genug betrinken konnten.
    »Was wollen die Russen?«, fragte er.
    Gleich mehrere Männer antworteten:
    »Land.«
    »Frieden.«
    »Freiheit.«
    »Mehr Schnaps!«
    Walter holte eine dritte Flasche aus der Kiste. Was ihr wirklich braucht, dachte er, sind Seife, Essen und neue Stiefel.
    »Ich möchte in mein Dorf zurück«, erklärte Fjodor. »Dort wird gerade das Land des Fürsten aufgeteilt. Ich will dafür sorgen, dass meine Familie einen gerechten Anteil bekommt.«
    Walter fragte: »Unterstützt ihr eine politische Partei?«
    »Die Bolschewiken!«, rief ein Soldat. Die anderen jubelten.
    Walter war zufrieden. »Seid ihr Parteimitglieder?«
    Sie schüttelten die Köpfe.
    »Ich habe immer die Sozialrevolutionäre unterstützt«, sagte Fjodor, »aber sie haben uns im Stich gelassen.« Seine Kameraden nickten zustimmend. »Kerenski hat sogar die Prügelstrafe wieder eingeführt.«
    »Und er hat eine Sommeroffensive befohlen«, sagte Walter. Nicht weit entfernt stand ein Stapel Munitionskisten, doch er schaute ganz bewusst nicht hin aus Angst, die Aufmerksamkeit der Russen auf das Offensichtliche zu lenken: dass er ein Spion war. »Wir können es von unseren Flugzeugen aus sehen«, fügte er hinzu.
    Fjodor wandte sich an Iwanow. »Warum müssen wir eigentlich angreifen, Sergeant?«, fragte er. »Wir können doch genauso gut aus unseren jetzigen Stellungen Frieden schließen.«
    Im Graben erhob sich zustimmendes Raunen.
    Walter fragte: »Was werdet ihr tun, wenn der Angriffsbefehl kommt?«
    »Wir werden ihn auf einem Treffen des Soldatenkomitees besprechen«, antwortete Fjodor.
    »Red keinen Mist«, tadelte Iwanow ihn. »Soldatenkomitees dürfen keine Befehle mehr diskutieren.«
    Missbilligendes Murren war zu vernehmen, und jemand am Rand der Gruppe sagte: »Das werden wir ja sehen, Genosse Sergeant.«
    Die Menge wuchs noch immer an. Walter gab den Männern seine letzten zwei Flaschen. Als Erklärung für die Neuankömmlinge verkündete er: »Die Deutschen wünschen sich den Frieden genauso wie das russische Volk. Wenn ihr uns nicht angreift, greifen wir euch auch nicht an.«
    »Darauf trinke ich!«, rief einer der Neuankömmlinge, und wieder brandete Jubel auf.
    Walter befürchtete, der Lärm könne die Aufmerksamkeit eines Offiziers erregen. Ob er die Russen dazu bringen konnte, trotz des Schnapses leise zu sein? Aber es war bereits zu spät. Eine laute, befehlsgewohnte Stimme fragte: »Was ist hier los? Was habt ihr jetzt wieder ausgeheckt?« Die Menge teilte sich, um einen großen Mann in Majorsuniform durchzulassen. Der Major musterte Walter von oben bis unten. »Wer bist du?«, fragte er unfreundlich.
    Walter durchlief es eiskalt. Wahrscheinlich würde der Offizier ihn gefangen nehmen; ihm blieb gar nichts anderes übrig. Und dem deutschen Nachrichtendienst war bekannt, wie die Russen Gefangene behandelten. Walter wusste, dass ihn ein langsamer Tod durch Hunger und Kälte erwartete.
    Er rang sich ein Lächeln ab und bot seine letzte,

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