Sturz der Titanen
sagte, dass es in zwei Wochen so weit sei.
»Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie bei Wladimir«, erwiderte Katherina. »Damals hatte die Hebamme, eine sibirische Hexe namens Xenia, mir ein schwere Geburt vorhergesagt.«
»Ich kenne Xenia«, sagte Magda. »Sie ist sehr erfahren, aber streng.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Ich muss jetzt gehen«, sagte Konstantin, der zum Smolny-Institut wollte. Zwar tagte der Sowjet nicht ständig, aber es gab stets Treffen irgendwelcher Komitees und Ausschüsse. Kerenskis Provisorische Regierung war inzwischen so schwach, dass der Sowjet allein aus diesem Grund die Macht im Staat besaß.
»Stimmt es, dass Lenin wieder in der Stadt ist?«, fragte Konstantin.
»Ja«, sagte Grigori. »Er ist gestern Abend zurückgekommen.«
»Wo wohnt er?«
»Das ist geheim. Die Polizei ist immer noch hinter ihm her.«
»Was hat ihn zur Rückkehr bewegt?«
»Wie werden es morgen erfahren. Er hat das Zentralkomitee einberufen.«
Konstantin machte sich auf den Weg, um die nächste Bahn ins Stadtzentrum zu erwischen. Grigori brachte Katherina nach Hause. Ehe er sich auf den Rückweg in die Kaserne machte, sagte sie: »Jetzt, wo ich weiß, dass Magda bei mir sein wird, fühle ich mich besser.«
»Das ist gut.« Grigori kam eine Geburt gefährlicher vor als ein bewaffneter Aufstand.
»Und du wirst ja auch da sein, nicht wahr?«, fügte Katherina hinzu.
»Aber nicht in diesem Zimmer«, sagte Grigori nervös.
»Natürlich nicht. Aber du wirst draußen auf und ab gehen, aber auch das wird mir Sicherheit geben.«
»Gut.«
»Du wirst doch da sein?«
»Ja«, antwortete Grigori. »Was immer auch geschieht, ich werde da sein.«
Als er eine Stunde später in die Kaserne kam, herrschte dort das nackte Chaos. Auf dem Exerzierplatz versuchten Offiziere, Waffen und Munition auf Wagen zu verladen, doch ohne viel Erfolg: Jedes noch so unbedeutende Komitee tagte im Augenblick oder bereitete sich darauf vor. »Jetzt hat Kerenski den Vogel abgeschossen!«, rief Isaak. »Er will uns an die Front schicken.«
Grigori erstarrte. »Wen meinst du mit ›uns‹?«
»Die gesamte Garnison von Petrograd. Die Befehle sind gerade eingetroffen. Wir sollen unseren Platz mit den Frontsoldaten tauschen.«
»Warum denn das?«
»Um den deutschen Vorstoß aufzuhalten.« Die Deutschen hatten die Inseln vor Riga eingenommen und marschierten nun auf Petrograd.
»Das ist doch Schwachsinn!«, stieß Grigori hervor. »Es ist bloß der Versuch, die Autorität des Sowjets zu untergraben.« Aber es war ein geschickter Schachzug, wie Grigori zugeben musste: Wenn die Truppen in Petrograd durch Rückkehrer von der Front ersetzt wurden, würde es Tage, vielleicht Wochen dauern, bis neue Komitees und Sowjetdeputierte gewählt worden waren. Und diesen neuen Männern würde die Erfahrung von sechs Monaten politischer Kämpfe fehlen. Alles würde noch einmal von vorn anfangen.
»Was sagen die Männer dazu?«, fragte Grigori.
»Sie sind stinkwütend. Sie sagen, Kerenski soll mit Friedensverhandlungen beginnen, statt sie in den fast sicheren Tod zu schicken.«
»Werden sie sich weigern, Petrograd zu verlassen?«
»Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wäre es hilfreich, wenn der Sowjet sie unterstützt.«
»Ich kümmere mich darum.«
Grigori fuhr mit einem Panzerwagen und zwei Leibwächtern zum Smolny-Institut. Die politische Entwicklung schien ein Rückschlag zu sein, konnte sich aber auch als Vorteil erweisen: Bis jetzt hatten nicht alle Einheiten die Bolschewiken unterstützt, aber Kerenskis Versuch, sie an die Front zu schicken, könnte dies ändern. Je länger Grigori darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass Kerenski einen schweren Fehler begangen hatte.
Das Smolny-Institut war ein prachtvolles Gebäude, eine ehemalige Schule für höhere Töchter. Zwei Maschinengewehrschützen aus Grigoris Regiment bewachten den Haupteingang. Rotgardisten versuchten, die Identität eines jeden zu überprüfen, der kam oder ging, doch der Andrang war so groß, dass die Kontrollen nicht allzu genau waren. Auf dem Hof herrschten chaotische Geschäftigkeit und ein schreckliches Gedränge. Grigori sah Panzerwagen und Motorräder, Personenwagen und Laster, die sich um den wenigen verfügbaren Platz stritten.
Grigori stieg eine breite Treppe zu einer Kolonnade hinauf und betrat den Raum, in dem das Exekutivkomitee des Sowjets tagte. Soeben riefen die Menschewiken die Soldaten der Garnison auf, sich auf den Marsch an
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