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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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die Front vorzubereiten. Grigori überkam die Angst, dass ihm die Revolution zwischen den Fingern zerrann.
    Er tat sich mit den anderen Bolschewiken im Komitee zusammen, um eine militantere Resolution zu entwerfen. Trotzki meldete sich zu Wort. »Es gibt nur eine Möglichkeit, Petrograd gegen die Deutschen zu verteidigen«, sagte er. »Wir müssen die Arbeiter mobilisieren.«
    »So, wie wir es schon beim Kornilow-Putsch gemacht haben«, schloss Grigori sich ihm an. »Wir brauchen wieder ein Militärkomitee, das die Verteidigung der Stadt übernimmt.«
    Trotzki kritzelte rasch einen Entwurf auf ein Blatt Papier und brachte den Antrag ein.
    Die Menschewiken waren außer sich. »Damit würden wir ein zweites Oberkommando neben dem der Armee schaffen!«, erklärte Mark Broido. »Niemand kann zwei Herren dienen.«
    Angewidert beobachtete Grigori, wie die meisten Mitglieder des Komitees ihm zustimmten. Dem Antrag der Bolschewiken wurde nicht stattgegeben. Trotzki war geschlagen. Verzweifelt verließ Grigori den Raum. Würden die Soldaten nach diesem Rückschlag weiterhin treu zum Sowjet stehen?
    Am Nachmittag trafen sich die Bolschewiken in Zimmer 26 und beschlossen, die Entscheidung nicht zu akzeptieren. Stattdessen kamen sie überein, ihren Antrag am Abend, auf der Sitzung des Gesamtsowjets, noch einmal einzubringen.
    Diesmal siegten die Bolschewiken bei der Abstimmung.
    Grigori fiel ein Stein vom Herzen. Der Sowjet hatte den Soldaten den Rücken gestärkt und ein neues Oberkommando eingesetzt.
    Wieder waren sie der Macht einen Schritt näher gekommen.

    Am nächsten Tag schlichen sich ein optimistischer Grigori und die anderen führenden Bolschewiken einzeln oder zu zweit aus dem Smolny-Institut, sorgfältig darauf bedacht, nicht die Aufmerksamkeit der Geheimpolizei zu erregen, und machten sich auf den Weg zu einem Treffen des Zentralkomitees in der großen Wohnung einer Genossin namens Galina Flakserman.
    Grigori war nervös und kam zu früh. Er ging noch einmal um den Block und hielt nach Polizeispitzeln Ausschau, sah aber niemanden, der ihm verdächtig vorgekommen wäre. Im Inneren des Gebäudes kundschaftete er die verschiedenen Ausgänge aus – es gab drei – und entschied sich für einen als schnellstmöglichen Fluchtweg.
    Die Bolschewiken versammelten sich an dem großen Esstisch. Viele trugen Ledermäntel, die für sie inzwischen zu einer Art Uniform geworden waren. Lenin war noch nicht erschienen; also fingen sie ohne ihn an. Grigori sorgte sich um ihn – vielleicht war er verhaftet worden –, doch um zehn kam er, verkleidet mit einer Perücke, die ihn beinahe lächerlich aussehen ließ.
    Doch an der Resolution, die Lenin in die Diskussion einbrachte, war ganz und gar nichts Lächerliches: Er rief zum bewaffneten Aufstand unter Führung der Bolschewiken auf, um die Provisorische Regierung zu stürzen und die Macht zu übernehmen.
    Grigori jubelte innerlich. Natürlich sehnte jeder einen bewaffneten Aufstand herbei, doch die meisten Revolutionäre hielten es für verfrüht. Nun aber sagte der Mächtigste von ihnen: »Die Zeit ist reif!«
    Lenin redete eine Stunde lang. Wie immer sprach er laut, schlug mit der Faust auf den Tisch und beschimpfte jeden, der ihm widersprach. Doch wie immer war Lenin überzeugend. Sein Wissen war enorm, sein politischer Instinkt beneidenswert, und nur wenige vermochten der Schärfe seiner Logik etwas entgegenzusetzen.
    Grigori stand von Anfang an auf Lenins Seite: Das Wichtigste war jetzt, die Macht zu ergreifen und dem Abflauen der Revolution entgegenzuwirken. Alle anderen Probleme konnten warten.
    Aber würden die anderen zustimmen?
    Sinowjew sprach sich dagegen aus. Normalerweise ein auffallend gut aussehender Mann, hatte auch er sein Aussehen verändert, um die Polizei in die Irre zu führen. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen und sein üppiges, lockiges Haar geschnitten. Sinowjew hielt Lenins Strategie für zu riskant. Er hatte die Befürchtung, ein Aufstand würde ihren Gegnern den Vorwand für einen Militärputsch liefern. Stattdessen verlangte er, die Partei solle sich auf den Sieg bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung konzentrieren.
    Diese Argument machte Lenin wütend. »Die Provisorische Regierung wird niemals landesweite Wahlen abhalten!«, rief er. »Wer das glaubt, ist ein Narr!«
    Trotzki und Josef Stalin, der georgische Revolutionär, unterstützten die Idee eines Aufstands; doch Trotzki verärgerte Lenin, als er erklärte, sie sollten damit bis

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