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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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er geben konnte.«
    Diese schwache Argumentation reizte Walters Zorn noch mehr. »So viel Demut hätte er zeigen sollen, bevor er den Mund aufgemacht hat! Aber da war nichts davon zu hören. Du warst doch in Schloss Pleß. Du weißt, was passiert ist. Holtzendorff hat sein Wort gegeben. Er hat den Kaiser in die Irre geführt. Er hat die Amerikaner in den Krieg gegen Deutschland hineingezogen. Einen schlechteren Dienst kann man seinem Kaiser kaum leisten.«
    »Offenbar willst du, dass er seine Demission einreicht. Aber wer sollte seinen Platz einnehmen?«
    »Demission?«, rief Walter. »Ich will, dass er sich die Pistole in den Mund steckt und abdrückt.«
    Otto von Ulrich blickte seinen Sohn streng an. »So etwas sagt man nicht.«
    »Sein Tod wäre nur ein schwacher Trost für alle, die wegen seines Hochmuts und seiner Dummheit gestorben sind.«
    »Euch jungen Leuten mangelt es an gesundem Menschenverstand.«
    »Du hältst mir einen Mangel an gesundem Menschenverstand vor? Du und deine Generation, ihr habt Deutschland in einen Krieg geführt, der Millionen das Leben gekostet hat. Einen Krieg, den wir nach drei Jahren noch immer nicht gewonnen haben.«
    Otto von Ulrich wandte den Blick ab. Dass Deutschland den Krieg noch nicht gewonnen hatte, konnte er schlecht leugnen. In Frankreich herrschte nach wie vor ein Patt, und der uneingeschränkte U -Boot-Krieg hatte die Versorgung der Entente-Mächte keineswegs unterbrochen; stattdessen hungerte die Royal Navy mit ihrer Seeblockade Deutschland aus. »Wir müssen abwarten, was in Petrograd geschieht«, sagte Otto. »Wenn Russland sich aus dem Krieg zurückzieht, wird sich das Gleichgewicht der Kräfte entscheidend verändern.«
    »Ganz recht«, sagte Walter. »Jetzt hängt alles von den Bolschewiken ab.«

    Anfang Oktober gingen Grigori und Katherina zu Magda, der Hebamme.
    Wladimir ritt auf Grigoris Schultern. Der Junge war inzwischen fast drei Jahre und entwickelte allmählich eine eigene Persönlichkeit. Auf seine kindliche Art war er klug und ernst; darin glich er mehr Grigori als Lew, seinem charmanten, aber missratenen Vater. Ein kleines Kind ist wie eine Revolution, überlegte Grigori: Macht man erst den Anfang, weiß man nie, wie es ausgeht.
    General Kornilows Konterrevolution war zerschlagen worden, ehe sie richtig angefangen hatte. Die Eisenbahnergewerkschaft hatte dafür gesorgt, dass der Großteil von Kornilows Truppen weit vor Petrograd stecken geblieben war. Der General selbst war gefangen und inhaftiert worden.
    Grigori hatte als der Mann, der Kornilows Armee zur Umkehr bewegt hatte, eine gewisse Berühmtheit erlangt. Zwar wehrte er sich jedes Mal gegen diese Übertreibung, was seinen Ruf aber noch mehr förderte. Inzwischen war er ins Zentralkomitee der Bolschewiken gewählt worden.
    Trotzki kam aus dem Gefängnis frei; die Bolschewiken gewannen die Wahl in Moskau mit einundfünfzig Prozent der Stimmen, und die Zahl der Parteimitglieder wuchs auf dreihundertfünfzigtausend.
    Grigori hatte das erregende Gefühl, dass in Russland nun alles möglich war – einschließlich einer totalen Katastrophe. Jeden Tag konnte die Revolution scheitern. Das war Grigoris größte Angst, denn es würde bedeuten, dass sein Kind in einem Russland aufwachsen würde, das nicht besser war als das alte Zarenreich. Grigori dachte an die Meilensteine seiner Kindheit: an die Hinrichtung seines Vaters, an den Tod seiner Mutter vor dem Winterpalast, an den Popen, der dem kleinen Lew die Hose heruntergezogen hatte, und an die harte Arbeit in den Putilow-Werken. Er wollte seinem Kind ein anderes Leben ermöglichen.
    »Lenin ruft zum bewaffneten Aufstand auf«, sagte er nun zu Katherina. Zwar versteckte Lenin sich noch immer außerhalb der Stadt, schrieb aber eine Flut wütender Briefe, in denen er die Partei zum Handeln drängte.
    »Ich glaube, damit hat er recht«, erwiderte Katherina. »Alle haben die Nase voll von Regierungen, die von Demokratie reden, aber nichts dafür tun, dass die Leute wieder Brot bekommen.«
    Katherina sprach aus, was die meisten Arbeiter dachten.
    Magda und ihr Mann Konstantin erwarteten sie bereits. Magda hatte Tee aufgesetzt.
    »Tut mir leid, dass ich keinen Zucker habe«, entschuldigte sie sich. »Aber es ist seit Wochen keiner mehr zu kriegen.«
    »Ich kann es gar nicht erwarten, bis das hier vorbei ist«, sagte Katherina und zeigte auf ihren schwangeren Leib. »Ich bin es leid, das Gewicht mit mir herumzuschleppen.«
    Magda tastete Katherinas Bauch ab und

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