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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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seinem alten Zimmer im Haus seiner Eltern erholen.
    Am 8. August setzten die Alliierten bei Amiens fast fünfhundert der neuen Panzer ein – »Tanks«, wie die Briten sie nannten. Diese stahlgepanzerten Fahrzeuge waren technisch noch unausgereift, konnten aber unaufhaltsam sein, und den Briten gelang an nur einem Tag ein Durchbruch von fünfzehn Kilometern.
    Walter fürchtete, dass das Blatt sich gewendet hatte, und das Gesicht seines alten Herrn sagte das Gleiche. In Berlin sprach niemand mehr davon, den Krieg zu gewinnen.
    Eines Nachts Ende September kam Otto von Ulrich leichenblass nach Hause. Von seinem gewohnten Überschwang war keine Spur mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil sah er so aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
    »Der Kaiser ist nach Berlin zurückgekehrt«, sagte er zu Walter.
    Walter wusste, dass Kaiser Wilhelm in Spa gewesen war, dem deutschen Hauptquartier in Belgien. »Warum?«, fragte er.
    Ottos Stimme wurde zu einem kaum hörbaren Flüstern, als könne er nicht ertragen, was er nun sagen musste. »Ludendorff will einen Waffenstillstand.«

Kapitel 32
    Oktober 1918
    Maud aß mit ihrem Freund Lord Remarc, dem Staatssekretär im Kriegsministerium, im Ritz zu Mittag. Johnny trug eine neue Weste in Lavendel. Beim Pot-au-feu fragte sie ihn: »Geht der Krieg wirklich dem Ende entgegen?«
    »Es sieht so aus«, antwortete Johnny. »Die Deutschen haben dieses Jahr siebenhunderttausend Mann verloren. Sie können nicht mehr.«
    Maud fragte sich, ob einer dieser siebenhunderttausend Männer womöglich ihr Walter gewesen war. Er konnte tot sein, das wusste sie. Der Gedanke war wie ein eiskalter Klumpen an der Stelle, an der sonst ihr Herz saß. Seit ihrer idyllischen zweiten Hochzeitsnacht in Stockholm hatte Maud kein Wort mehr von Walter gehört. Sie vermutete, dass seine Arbeit ihn nicht mehr in neutrale Staaten führte, sondern dass er zu Deutschlands letzter, alles entscheidender Offensive auf das Schlachtfeld zurückgekehrt war.
    Diese Gedanken waren morbid, aber realistisch. Zahllose Frauen hatten ihre Liebsten verloren: Ehemänner, Brüder, Söhne, Verlobte. Alle hatten sie vier Jahre durchlebt, in denen solche Tragödien sich täglich ereigneten. Schmerz, Tod und Trauer waren so alltäglich wie Essen und Trinken.
    Maud schob den Suppenteller von sich. »Gibt es noch einen anderen Grund zur Hoffnung auf Frieden?«
    »Ja. Deutschland hat einen neuen Reichskanzler. Er hat an Präsident Wilson geschrieben und einen Waffenstillstand auf der Grundlage von Wilsons berühmten Vierzehn Punkten vorgeschlagen.«
    »Das ist ja großartig! Hat Wilson bereits zugestimmt?«
    »Nein. Er sagt, Deutschland muss sich erst aus allen besetzten Gebieten zurückziehen.«
    »Was hält unsere Regierung davon?«
    »Lloyd George kocht vor Wut. Die Deutschen behandeln die Amerikaner als Wortführer des Bündnisses, und Präsident Wilson führt sich auf, als könnten sie ohne unsere Zustimmung Frieden schließen.«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Ich fürchte. Unsere Regierung ist nicht unbedingt mit Wilsons Vierzehn Punkten einverstanden.«
    Maud nickte. »Ich weiß. Wir sind gegen Punkt fünf, der Kolonialvölkern ein Mitspracherecht bei ihrer Regierung einräumt.«
    »Ja, sicher. Was ist mit Rhodesien, mit Barbados und mit Indien? Man kann doch nicht von uns verlangen, dass wir die Eingeborenen um Erlaubnis bitten, bevor wir zivilisierte Menschen aus ihnen machen. Die Amerikaner sind bei Weitem zu liberal. Und wir sind strikt gegen Punkt zwei: Freiheit der See in Krieg und Frieden. Die Macht Großbritanniens beruht auf der Navy. Wie hätten wir Deutschland aushungern sollen, wenn uns nicht erlaubt gewesen wäre, den deutschen Seehandel zu blockieren?«
    »Was halten die Franzosen davon?«
    Johnny grinste. »Clemenceau sagte, Wilson versuche den Allmächtigen zu übertreffen. ›Gott sind nur zehn Punkte eingefallen‹, hat er gesagt.«
    »Ich habe den Eindruck, dass die meisten gewöhnlichen Briten Wilson und seine Punkte mögen.«
    Johnny nickte. »Und die europäischen Regierungschefs können dem amerikanischen Präsidenten schwerlich sagen, er soll aufhören, Frieden zu stiften.«
    Maud wollte es so gerne glauben, dass sie Angst bekam. Sie warnte sich vor zu großen Hoffnungen, umso bitterer wäre die Enttäuschung.
    Ein Kellner brachte ihnen Seezunge Waleska und bedachte Johnnys Weste mit einem bewundernden Blick.
    »Was hast du über Fitz gehört?«, fragte Maud. Der Einsatz ihres Bruders in Sibirien war

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