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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sie in seinem Gesicht gesehen hatte, wie verletzt er war, gab sie sofort nach. »Ich hatte erwartet, dass meine Feinde mir Knüppel zwischen die Beine werfen«, hatte er eines Abends zu ihr gesagt. »Die Konservativen, die auf Kompromisse bedachten Liberalen, die kapitalistischen Imperialisten, die Bourgeoisie. Ich habe auch Streit mit ein oder zwei Neidern aus der eigenen Partei erwartet. Nur bei einem einzigen Menschen war ich sicher, dass ich mich auf ihn verlassen kann, und das warst du. Und ausgerechnet du bist mir in den Rücken gefallen.« Ethel schmerzte es in der Seele, wenn sie daran dachte.
    Um elf brachte sie Bernie eine Tasse Tee. Ihr Schlafzimmer war behaglich, wenn auch schäbig mit seinen billigen Baumwollvorhängen, dem Sekretär und einer Fotografie von Keir Hardie an der Wand. Bernie legte seinen Roman hin, The Ragged Trousered Philanthropists , »Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen«, den alle Sozialisten gerade lasen. Mit kühler Stimme fragte er: »Was wirst du heute Abend tun?« An diesem Abend war das Treffen der Labour-Partei. »Hast du eine Entscheidung getroffen?«
    Das hatte Ethel allerdings. Sie hätte es ihm schon vor zwei Tagen sagen können, hatte es aber nicht über sich gebracht. Nun aber, wo er die Frage gestellt hatte, würde sie antworten.
    »Es sollte der bestmögliche Kandidat sein«, sagte sie trotzig.
    Er blickte verletzt drein. »Ich verstehe nicht, wie du mir das antun und mir trotzdem sagen kannst, dass du mich liebst.«
    Ethel fand es unfair, dass er dieses Argument anbrachte. Wieso galt es nicht im umgekehrten Fall? Aber darum ging es nicht. »Wir sollten nicht an uns denken, sondern an die Partei.«
    »Aber wir sind verheiratet.«
    »Ich lasse dir nicht den Vortritt, weil ich deine Frau bin.«
    »Du bist mir in den Rücken gefallen.«
    »Aber ich lasse dir den Vortritt«, sagte Ethel.
    »Was?«
    »Ich sagte, ich lasse dir den Vortritt.«
    Ein Ausdruck der Erleichterung erschien auf Bernies Gesicht.
    Ethel fuhr fort: »Aber nicht, weil ich deine Frau bin. Und nicht, weil du der bessere Kandidat wärst.«
    Er wirkte verwirrt. »Warum dann?«
    Ethel seufzte. »Ich bin schwanger.«
    »Das gibt’s nicht!«
    »Doch. Da kann man als Frau endlich Parlamentsabgeordnete werden, und ich lasse mir von dir ein Kind andrehen.«
    Bernie lächelte. »Dann hat sich doch alles zum Besten gewendet.«
    »Ich wusste, dass du es so siehst«, sagte Ethel. In diesem Augenblick hasste sie Bernie und das ungeborene Kind und alles andere in ihrem Leben.
    Dann bemerkte sie, dass eine Kirchenglocke läutete. Sie blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims. Es war fünf nach elf. Wieso läutete man an einem Montagmorgen um diese Zeit? Dann hörte sie noch eine Glocke läuten. Stirnrunzelnd ging sie ans Fenster. Auf der Straße war nichts Ungewöhnliches zu sehen, aber immer mehr Glocken fielen ein. Im Westen, am Himmel über dem Londoner Zentrum, sah sie eine rote Leuchtrakete aufsteigen.
    Sie drehte sich zu Bernie um. »Es hört sich an, als würde jede Kirche in London die Glocken läuten.«
    »Dann ist es so weit!«, rief Bernie aufgeregt. »Ich wette, der Krieg ist aus. Sie läuten, um den Frieden zu feiern!«
    »Tja«, entgegnete Ethel, »wegen meiner blöden Schwangerschaft tun sie’s bestimmt nicht.«

    Fitz’ Hoffnungen auf den Sturz Lenins und seiner Banditen konzentrierten sich auf die Provisorische Regierung Sibiriens in Omsk. Nicht nur er, sondern mächtige Männer in den meisten großen Staaten der Welt blickten auf diese Stadt als Ausgangspunkt der Gegenrevolution.
    Das fünfköpfige Direktorium war in einem Eisenbahnzug in den Außenbezirken der Stadt untergebracht. Mehrere gepanzerte Waggons, von Elitesoldaten bewacht, enthielten die Überreste des Zarenschatzes, wie Fitz wusste: Gold im Wert von vielen Millionen Rubeln. Der Zar war tot, von den Bolschewisten ermordet, aber sein Geld war hier und verlieh dem loyalistischen Widerstand Macht und Autorität.
    Fitz war der Ansicht, an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt gewesen zu sein. Die Gruppe einflussreicher Männer, die er im April auf Ty Gwyn versammelt hatte, bildete ein diskretes Netz innerhalb der britischen Politik, dem es gelungen war, Großbritanniens verdeckte, aber bedeutsame Rückenstärkung des russischen Widerstands ins Leben zu rufen. Dies wiederum hatte andere Nationen dazu bewegt, ebenfalls Unterstützung zu leisten, oder sie wenigstens davon abgehalten, Lenins Regime zu helfen, da war Fitz sicher. Doch

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