Sturz der Titanen
der Rückkehr in ein normales russisches Leben helfen.« Er gab den Gürtel wieder zurück.
Lew nahm ihn, hielt ihn in den Händen und starrte seinen Bruder an. »Was meinst du damit?«
Grigori sah, dass Lew verletzt war, weil er sein Geschenk abgelehnt hatte. Aber Grigori plagte eine viel größere Sorge. Was würde geschehen, wenn Lew und Katherina sich wiedersahen? Würde sie seinem attraktiveren Bruder erneut verfallen? Die Angst, sie nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, zu verlieren, jagte Grigori einen Schauder über den Rücken. »Wir leben jetzt in Moskau«, sagte er. »Wir haben eine Wohnung im Kreml – Katherina, Wladimir, Anna und ich. Ich kann dir genauso leicht eine Wohnung besorgen, und …«
»Moment mal.« Lew schaute ihn ungläubig an. »Du glaubst, ich will nach Russland zurück?«
»Du bist doch schon wieder da«, sagte Grigori.
»Aber ich will nicht bleiben!«
»Du kannst doch unmöglich nach Amerika zurückwollen.«
»Natürlich will ich zurück! Und du solltest mit mir kommen.«
»Aber dafür gibt es keinen Grund! Russland ist nicht mehr so wie früher. Der Zar ist weg!«
»Ich mag Amerika«, sagte Lew, »und ihr werdet es auch mögen, besonders Katherina.«
»Aber hier wird Geschichte gemacht! Wir haben eine neue Regierungsform erfunden, den Sowjet. Das ist das neue Russland, die neue Welt. Du verpasst einen geschichtlichen Umbruch!«
Lew seufzte. »Du bist es, der nicht begreift. In Amerika habe ich mein eigenes Automobil. Es gibt dort mehr zu essen, als du verdrücken kannst, so viel Alkohol, wie du vertragen kannst, und Zigaretten ohne Ende. Ich habe fünf Anzüge!«
»Was willst du mit fünf Anzügen?«, entgegnete Grigori genervt. »Das ist so, als würde man fünf Betten haben. Man kann aber immer nur eins benutzen.«
»Ich sehe das anders.«
Was dieses Gespräch so ärgerlich machte, war die Tatsache, dass Lew offenbar glaubte, Grigori sei derjenige, der hier nicht verstand. Grigori wusste nicht, was er noch hätte sagen sollen, um die Meinung seines Bruders zu ändern. » Das also zählt für dich im Leben? Zigaretten, schicke Sachen und ein Automobil?«
»Das will doch jeder. Das solltet ihr Bolschewiken bloß nicht vergessen.«
Grigori hatte nicht die Absicht, sich von Lew eine Lektion in Politik erteilen zu lassen. »Die Russen wollen Brot, Frieden und Land.«
»Wie auch immer«, sagte Lew. »Übrigens, ich habe eine Tochter in Amerika! Ihr Name ist Daisy. Sie ist drei Jahre alt.«
Missbilligend legte Grigori die Stirn in Falten.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Lew. »Dass Katherinas Sohn mir egal ist. Wie heißt er noch mal?«
»Wladimir.«
»Ich habe mich nie um ihn gekümmert, denkst du, warum sollte ich mich dann jetzt um Daisy kümmern, nicht wahr? Aber das ist etwas anderes. Ich habe Wladimir nie gesehen. Als ich Petrograd verlassen habe, war er noch nicht einmal geboren. Aber ich liebe Daisy, und sie liebt mich.«
Das wenigstens konnte Grigori verstehen. Er war froh, dass Lew genug Herz besaß, um sich seiner Tochter verbunden zu fühlen. Und obwohl ihn Lews Vorliebe für Amerika ärgerte, war er tief im Inneren erleichtert darüber, dass sein Bruder nicht mehr nach Russland zurückkehren wollte. Denn Lew hätte mit Sicherheit Wladimir kennenlernen wollen – und wie lange hätte es dann wohl gedauert, bis der Junge herausfand, dass Lew sein Vater war? Und wenn Katherina sich wieder in Lew verlieben, Wladimir mitnehmen und ihn, Grigori, verlassen würde, was sollte dann aus Anna werden? Würde Grigori auch sie verlieren?
»Also gut«, sagte er. »Ich glaube zwar, dass du dich falsch entscheidest, aber ich will dich nicht zu deinem Glück zwingen.«
Lew grinste. »Du hast Angst, ich könnte dir Katherina wegnehmen, stimmt’s? Ich kenne dich zu gut, Bruder.«
Grigori zuckte unwillkürlich zusammen. »Ja«, gab er zu. »Ich habe Angst, du nimmst sie mir weg und lässt mich wieder im Stich, und dann müsste ich zum zweiten Mal den Schaden wiedergutmachen. Ich kenne dich auch, Bruder.«
»Aber du wirst mir helfen, nach Amerika zurückzukehren.«
»Nein.« Grigori konnte nicht anders; er verspürte eine gewisse Genugtuung, als er den ängstlichen Ausdruck auf dem Gesicht seines Bruders sah. Doch er quälte ihn nicht lange. »Ich werde dir helfen, zur Weißen Armee zurückzukehren. Die können dich dann nach Amerika schaffen.«
»Und wie stellen wir das an?«
»Wir werden ein Stück über die Front hinausfahren, und ich setze
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