Sturz der Titanen
wollten die Briefe der Männer sehen, Sir«, sagte er. Seine Missbilligung war ihm deutlich anzuhören.
Fitz ignorierte Murrays Skrupel und öffnete den Sack. Er suchte nach einem Brief von Sergeant Williams. Endlich konnte wenigstens einer für die Katastrophe bestraft werden.
Und Fitz fand, wonach er suchte. Sergeant Williams’ Brief war an E. Williams adressiert, Ethels Mädchenname. Ohne Zweifel fürchtete der Sergeant, dass es ungewollte Aufmerksamkeit auf den verräterischen Brief lenkte, würde er ihren Ehenamen verwenden.
Fitz las den Brief. Aus Billys großer, kräftiger Handschrift sprach Selbstbewusstsein. Auf den ersten Blick wirkte der Text unschuldig, wenn auch ein wenig seltsam. Doch Fitz hatte in Room 40 gearbeitet und kannte sich mit Codes aus. Sofort machte er sich daran, diesen hier zu knacken.
»Noch etwas, Sir«, sagte Murray. »Haben Sie in den vergangenen zwei Tagen den amerikanischen Dolmetscher gesehen?«
»Nein. Was ist denn mit ihm?«
»Sieht so aus, als hätten wir ihn verloren, Sir.«
Trotzki war todmüde, aber nicht entmutigt. Die Falten in seinem Gesicht mochten immer tiefer werden, aber sie löschten das Funkeln in seinen Augen nicht aus. Bewundernd dachte Grigori, dass dieser Mann von einem unerschütterlichen Glauben an seine Mission beseelt war. Das galt auch für Lenin und Stalin, vermutete Grigori. Jeder von ihnen war überzeugt, das Richtige zu tun, egal welchen Problemen sie sich gegenübersahen, von der Landreform bis hin zur Kriegsstrategie.
Grigori war anders. Gemeinsam mit Trotzki arbeitete er an Strategien gegen die Weißen Armeen, doch ehe das Ergebnis nicht feststand, war er sich nie sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatten. Vielleicht war das der Grund, warum Trotzki weltberühmt war und Grigori nur ein einfacher Kommissar.
Wie schon viele Male zuvor saß Grigori in Trotzkis persönlichem Panzerzug, und auf dem Tisch lag eine Karte Russlands. »Um die Konterrevolutionäre im Norden müssen wir uns kaum noch Sorgen machen«, erklärte Trotzki.
Grigori pflichtete ihm bei. »Unserem Geheimdienst zufolge ist es dort zu Meutereien bei den Briten gekommen.«
»Und sie haben keine Hoffnung mehr, ihre Streitkräfte mit Koltschak zu vereinen. Koltschaks Armeen laufen, so schnell sie können, nach Sibirien zurück. Wir könnten sie über den Ural jagen, aber ich denke, wir haben anderswo Wichtigeres zu tun.«
»Im Westen?«
»Da ist es schon schlimm genug. Die Weißen werden von reaktionären Nationalisten in Lettland, Litauen und Estland unterstützt. Koltschak hat Judenitsch zum Oberkommandierenden dort ernannt, und der wird von einer britischen Flottille unterstützt, die Kronstadt belagert. Aber ich mache mir mehr Sorgen um den Süden.«
»General Denikin.«
»Denikin verfügt über mehr als hundertfünfzigtausend Mann. Er wird von französischen und italienischen Truppen unterstützt und von den Briten mit Nachschub versorgt. Wir vermuten, dass er auf Moskau vorstoßen will.«
»Wenn ich das sagen darf: Ich glaube, man muss ihn politisch besiegen, nicht militärisch.«
Trotzki blickte Grigori fasziniert an. »Sprich weiter, Genosse.«
»Wo immer er hinkommt, macht Denikin sich Feinde. Seine Kosaken rauben und plündern überall. Sobald er eine Stadt einnimmt, lässt er die Juden zusammentreiben und umbringen. Wenn die Kohlebergwerke ihre Quote nicht erfüllen, lässt er einen von zehn Bergleuten erschießen. Und natürlich lässt er auch alle Deserteure hinrichten.«
»Das tun wir auch«, erwiderte Trotzki. »Und wir töten Dörfler, die Deserteuren Unterschlupf gewähren.«
»Und Bauern, die uns nicht ihr Getreide geben wollen.« Es hatte einige Zeit gedauert, bis Grigori hart genug geworden war, um diese brutale Notwendigkeit zu akzeptieren. »Aber ich kenne die Bauern. Mein Vater war einer. Land kümmert sie mehr als alles andere. Viele dieser Leute haben im Zuge der Revolution große Ländereien gewonnen, und die wollen sie behalten, egal was passiert.«
»Und?«
»Koltschak hat erklärt, eine Landreform solle auf dem Prinzip des Privateigentums beruhen.«
»Was bedeutet, dass die Bauern das Land werden zurückgeben müssen, das sie dem Adel genommen haben.«
»Und das weiß jeder. Ich würde seine Erklärung gerne drucken und an jede Kirchentür nageln lassen. Dann werden die Bauern uns vorziehen, egal was unsere Soldaten tun. Wir sind dann das kleinere Übel für sie.«
»Tu das«, sagte Trotzki.
»Eins noch. Erlasse eine
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