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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verlange, ins Protokoll aufzunehmen, dass das Gericht sich geweigert hat, mir die Vernehmung eines Zeugen zu gestatten, obwohl er anwesend war.«
    »Machen Sie voran!«
    »Wäre mir mein Recht nicht verweigert worden, einen Zeugen aufzurufen, hätte ich den Colonel gefragt, worin seine Beziehung zu meiner Familie besteht. Ob er nicht einen persönlichen Groll gegen mich hegt, weil mein Vater ein Wortführer der Bergarbeiter ist. Wie war das Verhältnis des Earls zu meiner Schwester? Hat er sie nicht als Haushälterin beschäftigt, um sie dann aus unbekannten Gründen zu entlassen?« Billy war versucht, mehr über Ethel zu sagen, doch damit hätte er ihren Namen in den Schmutz gezogen; außerdem genügte seine Andeutung wahrscheinlich schon. »Ich hätte ihn gefragt, worin sein persönliches Interesse an diesem rechtswidrigen Krieg gegen die bolschewistische Regierung besteht. Ist seine Frau eine russische Fürstin? Ist sein Sohn der Erbe von Grundbesitz auf russischem Boden? Ist der Colonel etwa hier, um seine persönlichen finanziellen Interessen zu wahren? Und sind diese Umstände die eigentliche Erklärung, weshalb er sich zu dieser Farce eines Prozesses herablässt? Und macht es das nicht völlig unmöglich, als Richter in diesem Fall aufzutreten?«
    Fitz starrte Billy mit steinernem Gesicht an, doch Murray und Evans wirkten erschrocken. Diese persönlichen Zusammenhänge waren ihnen unbekannt gewesen.
    »Ich habe noch einen weiteren Punkt anzuführen«, fuhr Billy fort. »Der deutsche Kaiser steht wegen Kriegsverbrechen unter Anklage. Ihm wird vorgeworfen, dass er gegen den Willen des deutschen Volkes, der von seinen gewählten Vertretern im Reichstag ausgedrückt wurde, den Krieg erklärt hat, wobei er von seinen Generälen dazu ermutigt wurde. Im Unterschied dazu hat Großbritannien erst nach einer Unterhausdebatte Deutschland den Krieg erklärt.«
    Fitz gab vor, sich zu langweilen, doch Murray und Evans hörten aufmerksam zu.
    Billy fuhr fort: »Nun sehen Sie sich diesen Krieg in Russland an. Er wurde nie vom britischen Parlament verhandelt. Die Tatsachen werden dem britischen Volk verschwiegen unter dem Vorwand der operativen Sicherheit – das ist ja immer die Ausrede für die schmutzigen Geheimnisse des Militärs. Wir kämpfen, ohne dass ein Krieg erklärt wurde. Der britische Premierminister und sein Kabinett sind in genau der gleichen Position wie der deutsche Kaiser und seine Generäle. Sie sind es, die rechtswidrig handeln – nicht ich.« Billy setzte sich.
    Murray und Evans steckten mit Fitz die Köpfe zusammen. Billy fragte sich, ob er zu weit gegangen war. Er hatte es als notwendig empfunden, deutliche Worte zu sagen, doch es war möglich, dass er die beiden Captains dadurch beleidigt hatte, statt ihre Unterstützung zu gewinnen.
    Allerdings schienen die Richter sich uneins zu sein. Fitz sprach mit Nachdruck, während Evans ablehnend den Kopf schüttelte. Murray wirkte befangen. Das ist wahrscheinlich ein gutes Zeichen, sagte sich Billy, doch er hatte größere Angst als je zuvor. Die Maschinengewehre an der Somme und die Grubenexplosion waren nichts im Vergleich zu dieser Situation, in der sein Leben in den Händen übelwollender Offiziere lag.
    Endlich schienen sie zu einer Einigung zu kommen. Fitz blickte Billy an. »Erheben Sie sich«, befahl er.
    Billy stand auf.
    »Sergeant William Williams, das Gericht befindet Sie schuldig im Sinne der Anklage.« Fitz starrte Billy an, als hoffte er, in dessen Gesicht Schmerz über diese Niederlage zu sehen. Doch Billy hatte den Schuldspruch erwartet. Was er fürchtete, war das Urteil.
    Fitz sagte: »Sie werden hiermit zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt.«
    In Billys Gesicht zuckte es. Zum Tode war er zwar nicht verurteilt worden – aber zehn Jahre! Wenn er freikäme, wäre er dreißig. Dann schriebe man das Jahr 1929. Mildred wäre fünfunddreißig. Ihr halbes Leben wäre vorbei. Billys trotzige Fassade bröckelte, und Tränen traten ihm in die Augen.
    Ein Ausdruck der Genugtuung erschien auf Fitz’ Gesicht. »Wegtreten«, sagte er.
    Billy wurde abgeführt.

Kapitel 37
    Mai und Juni 1919
    Am ersten Tag im Mai schrieb Walter von Ulrich einen Brief an Maud und gab ihn in Versailles auf.
    Er wusste nicht, ob sie noch lebte. Seit ihrer gemeinsamen Nacht in Stockholm hatte er nichts mehr von ihr gehört. Zwischen Deutschland und Großbritannien gab es noch immer keinen Postverkehr; deshalb bot sich ihm erst jetzt die Gelegenheit, Maud zum ersten Mal seit

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