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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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dich im Niemandsland ab. Vor dort bist du auf dich allein gestellt.«
    »Ich könnte erschossen werden.«
    »Wir könnten beide erschossen werden. Das nennt man Krieg.«
    »Hm, ja. Das Risiko werde ich wohl eingehen müssen.«
    »Du wirst schon zurechtkommen, Lew«, sagte Grigori. »Du kommst doch immer zurecht.«

    Billy Williams wurde vom Stadtgefängnis in Ufa durch die staubigen Straßen des Ortes zur Handelsschule geführt, in der die britischen Truppen vorübergehend untergebracht waren.
    Das Militärstrafverfahren fand in einem Klassenzimmer statt. Fitz saß am Lehrertisch, neben ihm sein Adjutant, Captain Murray. Captain Gwyn Evans war mit Notizbuch und Bleistift zugegen.
    Billy war schmutzig und unrasiert, und er hatte zwischen den Säufern und Prostituierten der Stadt schlecht geschlafen. Fitz trug wie immer eine frisch gebügelte Uniform. Billy wusste, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Das Urteil stand bereits fest; die Beweislage war klar. Er hatte in verschlüsselten Briefen an seine Schwester militärische Geheimnisse preisgegeben. Trotzdem war er entschlossen, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Es würde schon irgendwie gut gehen.
    Fitz verkündete: »Dies ist ein Feldgerichtsverfahren. Es ist erlaubt, wenn sich der Angeklagte im aktiven Einsatz in Übersee befindet und wenn es nicht möglich ist, ein reguläres Militärgericht einzuberufen. Nur drei Offiziere sind als Richter erforderlich – oder auch zwei, wenn nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieses Gericht kann jeden Soldaten jedes Ranges für jedes Vergehen verurteilen und hat das Recht, die Todesstrafe zu verhängen.«
    Billys einzige Chance bestand darin, das Strafmaß zu beeinflussen. Die möglichen Strafen waren Zuchthaus, Zwangsarbeit oder Tod. Ohne Zweifel hätte Fitz ihn gerne vor ein Erschießungskommando gestellt oder ihn wenigstens ein paar Jahre ins Zuchthaus gesteckt. Billys Strategie war, bei Murray und Evans hinreichende Zweifel an der Fairness des Verfahrens zu säen, damit sie sich für eine kurze Gefängnisstrafe aussprachen.
    Er fragte: »Wo ist mein Verteidiger?«
    »Es ist nicht möglich, Ihnen einen Rechtsbeistand zu stellen«, sagte Fitz.
    »Sind Sie sicher, Sir?«
    »Reden Sie nur, wenn Sie angesprochen werden, Sergeant!«
    Billy entgegnete: »Es muss ins Protokoll, dass mir ein Verteidiger verweigert wurde.« Er starrte Gwyn Evans an, den einzigen Offizier mit einem Notizbuch. Als Evans nicht reagierte, fragte Billy: »Oder wird das Protokoll die Unwahrheit enthalten?« Das Wort Unwahrheit betonte er überdeutlich, weil er wusste, dass Fitz sich darüber ärgern würde. Es gehörte zum Kodex eines englischen Gentlemans, stets die Wahrheit zu sagen.
    Fitz nickte Evans zu, der sich eine Notiz machte.
    Der erste Punkt geht an mich, dachte Billy, und es heiterte ihn ein wenig auf.
    »William Williams«, sagte Fitz, »Sie sind angeklagt eines Verbrechens im Sinne von Teil eins des Heeresstrafgesetzbuches. Die Anklage lautet, dass Sie wissentlich und vorsätzlich eine Tat begangen haben, die dazu angetan war, den Erfolg Seiner Majestät Streitkräfte in Gefahr zu bringen, während Sie sich im aktiven Dienst befanden. Die Strafe darauf ist der Tod oder eine geringere Bestrafung, die das Gericht Ihnen auferlegt.«
    Der Gedanke an die Todesstrafe ließ Billy frösteln, doch er wahrte eine unbewegte Miene.
    »Wie stellen Sie sich zu der Anklage?«
    Billy atmete tief durch. Er sprach laut und deutlich und legte so viel Hohn und Verachtung in seine Stimme, wie er nur konnte. »Ich stelle mich zu der Anklage, indem ich frage: Wie können Sie es wagen?«, sagte er. »Wie können Sie es wagen, den unvoreingenommenen Richter zu spielen? Wie können Sie wagen, so zu tun, als wäre unsere Anwesenheit in Russland ein rechtmäßiger Einsatz? Und wie können Sie es wagen, einen Mann wegen Verrats anzuklagen, der drei Jahre an Ihrer Seite gekämpft hat?«
    Captain Evans sagte: »Seien Sie nicht unverschämt, Billy-Boy. Sie machen es nur schlimmer.«
    Billy widerte Evans’ Jovialität an. »Und mein Rat an Sie lautet«, sagte er, »zu verschwinden und sich nicht auf dieses Femegericht einzulassen. Wenn sich das herumspricht – und glauben Sie mir, es wird auf der Titelseite des Daily Mirror stehen –, werden Sie es sein, der Schande über sich gebracht hat, nicht ich.« Er blickte Murray an. »Jeder Mann, der etwas mit dieser Farce zu tun hatte, wird Schimpf und Schande auf sich laden.«
    Evans blickte beunruhigt drein.

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