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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Griffiths hatte in Aberowen ganz sicher erzählt, was geschehen war. Und Ethel, hoffte Billy, hatte seinen Eltern und Gramper erklärt, was er in Wirklichkeit »verbrochen« hatte.
    Aber er bekam keinen Besuch. Wusste seine Familie vielleicht noch gar nicht, dass er aus Russland zurück war? Er hätte gern etwas unternommen gegen das Verbot, Post zu empfangen, hatte aber keine Möglichkeit, einen Anwalt einzuschalten, und erst recht kein Geld, ihn zu bezahlen. Billys einziger Trost war das unbestimmte Gefühl, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.
    Was er über die Außenwelt wusste, stammte aus der Zeitung. Fitzherbert war wieder in London und hielt Reden, in denen er mehr Militärhilfe für die Weißen in Russland forderte. Billy fragte sich, ob dies bedeutete, dass die Aberowen Pals nach Hause gekommen waren.
    Fitz’ Reden nutzten jedenfalls nichts. Ethels »Hände-weg-von-Russland«-Kampagne hatte Anhänger gefunden und wurde von der Labour-Partei unterstützt. Trotz der wortgewaltigen antibolschewistischen Reden des Kriegsministers Winston Churchill hatte Großbritannien seine Truppen aus Nordrussland zurückgezogen. Mitte November hatten die Roten Admiral Koltschak aus Omsk vertrieben. Alles, was Billy über die Weißen geschrieben hatte und was von Ethel in ihrer Kampagne wiederholt worden war, erwies sich als richtig; alles, was Fitz und Churchill behaupteten, als falsch. Dennoch saß Billy im Gefängnis und Fitz im Oberhaus.
    Mit seinen Mitgefangenen verband ihn nur wenig. Sie waren keine politischen Häftlinge; die meisten hatten handfeste Verbrechen begangen: Diebstahl, Vergewaltigung und Mord. Es waren harte Burschen, aber das galt auch für Billy, und er hatte keine Angst vor ihnen. Tatsächlich behandelten die schweren Jungs ihn mit vorsichtigem Respekt, weil sie offenbar spürten, dass sein Vergehen eine Stufe über ihren Verbrechen lag. Billy redete freundlich mit den anderen, aber keiner von ihnen hatte auch nur das geringste Interesse an Politik. Sie sahen nichts Falsches an der Gesellschaft, die sie hier einsperrte; sie waren lediglich entschlossen, beim nächsten Mal besser und cleverer zu sein als das System.
    Während der halbstündigen Mittagspause las Billy meist die Zeitung. Der größte Teil der anderen Sträflinge waren Analphabeten. Als er eines Tages den Daily Herald aufschlug, sah er die Fotografie eines Gesichts, das ihm bekannt vorkam. Nach einem Augenblick der Verwunderung begriff Billy, dass es sich um ein Bild von ihm selbst handelte, das in einem Artikel über ihn abgedruckt war.
    Dann fiel ihm auch wieder ein, wann das Foto aufgenommen worden war: Mildred hatte ihn zu einem Fotografen in Aldgate geschleift und in Uniform ablichten lassen. »Jede Nacht drücke ich es mir an die Lippen«, hatte Mildred gesagt. Als Billy in der Ferne gewesen war, hatte er oft an ihr zweideutiges Versprechen gedacht.
    Die Schlagzeile lautete:
    WARUM IST SERGEANT WILLIAMS IM GEFÄNGNIS?
    Billy las mit wachsender Aufregung weiter.
    William Williams vom 8. Bataillon der Welsh Rifles (den »Aberowen Pals«) sitzt eine zehnjährige Haftstrafe in einem Militärgefängnis ab. Er wurde wegen Verrats verurteilt. Aber ist dieser Mann tatsächlich ein Verräter? Hat er sein Land wirklich im Stich gelassen? Ist er tatsächlich zum Feind übergelaufen oder im Kampf geflohen? Im Gegenteil – er hat tapfer an der Somme gekämpft und die nächsten beiden Jahre in Frankreich gedient, sodass er zum Sergeant befördert werden konnte.
    Billy konnte es nicht fassen. Das bin ich, dachte er. Ich stehe in der Zeitung, und sie schreiben, ich hätte tapfer gekämpft.
    Dann wurde Sergeant Williams nach Russland geschickt. Wir haben keinen Krieg mit Russland, und das britische Volk steht dem bolschewistischen Regime nicht gerade wohlwollend gegenüber, aber wir greifen nicht jedes Land an, dessen Regierung uns nicht passt. Die Bolschewiken sind weder für uns noch für unsere Verbündeten eine Gefahr. Einer militärischen Aktion gegen die Moskauer Regierung hat das Parlament nie zugestimmt. Man muss sich sogar ernsthaft die Frage stellen, ob wir mit unserer Mission in Russland nicht gegen das Völkerrecht verstoßen.
    Mehrere Monate lang wurde dem britischen Volk sogar verschwiegen, dass seine Streitkräfte in Russland kämpfen. Die Regierung hat fälschlich verlautbaren lassen, unsere Soldaten wären nur dort, um unser Eigentum zu schützen, einen geordneten Rückzug zu gewährleisten und in Bereitschaft zu stehen. Daraus

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