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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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feindlichen Welt zu sein. Aber jetzt war es ja vorbei. Er hatte ein Heim und eine Arbeit, und sein Bruder war zu einem starken und tüchtigen Mann herangewachsen. Die schlimmen Zeiten gab es nicht mehr. Trotzdem wäre er vor Wut und Hass am liebsten jemandem an die Gurgel gegangen – einem Soldaten, einem Minister oder dem Zaren persönlich – und hätte ihn zur Hölle geschickt. Grigori schloss die Augen und schauderte, bis der Wutanfall verebbt war.
    »Gleich nach der Beerdigung hat der Hauswirt uns hinausgeworfen«, fuhr er dann fort. »Er sagte, wir würden ohnehin nicht mehr bezahlen können. Dann nahm er unsere Möbel als Bezahlung für ausstehende Miete, obwohl Maminka ihm das Geld immer pünktlich gegeben hatte. Ich bin in die Kirche gegangen und habe dem Popen gesagt, wir wüssten nicht mehr, wo wir schlafen sollten.«
    Katherina lachte heiser. »Was dann passiert ist, kann ich mir denken.«
    Grigori war überrascht. »Wirklich?«
    »Der Pope hat Ihnen ein Bett angeboten – sein Bett. So ist es mir jedenfalls ergangen. Wie war es bei Ihnen?«
    »Ähnlich«, sagte Grigori. »Er hat mir ein paar Kopeken gegeben und mich losgeschickt, Kartoffeln zu kaufen. Aber der Laden war nicht da, wo er gesagt hatte, und statt danach zu suchen, bin ich zurückgelaufen. Als ich in die Sakristei kam, hatte er Lew gerade die Hose heruntergezogen.«
    Katherina nickte. »Das haben die Popen auch mit mir gemacht, immer wieder, seit ich zwölf war.«
    Grigori war entsetzt. Er hatte immer geglaubt, der Priester, der sich an seinem Bruder vergehen wollte, sei eine unrühmliche Ausnahme gewesen. Doch Katherina schien diese Verkommenheit für normal zu halten. »Du meinst, alle sind so?«
    »Die meisten. Jedenfalls meiner Erfahrung nach.«
    Grigori schüttelte angewidert den Kopf. »Weißt du, was mich am meisten gewundert hat? Als ich diesen Kerl erwischt habe, hat er sich nicht einmal geschämt. Er sah nur verärgert aus, als hätte ich ihn beim Bibelstudium unterbrochen.«
    »Was haben Sie getan?«
    »Ich habe Lew gesagt, er soll sich die Hose hochziehen, und dann sind wir gegangen. Der Pope hat seine Kopeken zurückverlangt, aber ich sagte ihm, das seien Almosen für die Armen. Ich habe von dem Geld dann ein Bett in einer Herberge für uns bezahlt.«
    »Und dann?«
    »Ich hatte Glück und bekam eine gute Anstellung, weil ich bei meinem Alter gelogen habe. Ich konnte mir ein Zimmer nehmen und habe mit jedem Tag gelernt, unabhängiger zu werden.«
    »Und jetzt sind Sie glücklich, Sie und Ihr Bruder?«
    »Nein, das nicht. Unsere Mutter wollte, dass wir ein besseres Leben haben als sie. Ich werde ihr diesen Wunsch erfüllen. Ich werde Russland verlassen. Ich habe genug Geld gespart, um nach Amerika zu gehen. Wenn ich dort bin, schicke ich Lew das Geld für die Überfahrt. In Amerika gibt es keinen Zaren, keinen Kaiser oder König. Da kann die Armee nicht einfach erschießen, wen sie will. In Amerika herrscht das Volk.«
    Katherina schaute ihn misstrauisch an. »Glauben Sie wirklich?«
    »Es stimmt!«
    Jemand klopfte ans Fenster. Katherina erschrak – sie waren im ersten Stock –, doch Grigori wusste, es war Lew. Spät in der Nacht, wenn die Haustür abgeschlossen war, musste Lew über die Gleise auf den Hinterhof, von dort auf das Dach des Waschhauses und dann durchs Fenster steigen.
    Grigori öffnete, und Lew kletterte ins Zimmer. Er war elegant gekleidet: ein Jackett mit Perlmuttknöpfen, dazu eine Kappe mit Samtband. An seiner Weste hing eine Taschenuhrkette aus Messing, und das Haar hatte er im modischen »polnischen« Stil geschnitten, mit Seiten- statt Mittelscheitel, wie die Bauern ihn trugen. Katherina musterte ihn erstaunt. Grigori nahm an, sie hatte nicht damit gerechnet, dass sein Bruder ein so gut aussehender Bursche war.
    Natürlich freute sich Grigori, Lew zu sehen, und war erleichtert, ihn nüchtern und in einem Stück wieder bei sich zu haben. Diesmal aber wünschte er sich, er hätte ein bisschen länger mit Katherina allein sein können.
    Er stellte die beiden einander vor. Lews Augen funkelten, als er Katherina die Hand schüttelte.
    »Grigori hat mir gerade vom Tod Ihrer Mutter erzählt«, sagte sie.
    »Seit neun Jahren ist er nun schon Vater und Mutter für mich.« Lew neigte den Kopf zur Seite und schnüffelte. »Und er kocht einen guten Eintopf.«
    Grigori holte Schüsseln und Löffel und legte einen Laib Schwarzbrot auf den Tisch, während Katherina von der Auseinandersetzung mit Pinsky erzählte. So wie

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