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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einem solchen Fall konnte alles passieren. »Was hat er gesagt?«
    »Dass Serbien als politische Macht vernichtet werden muss.«
    »Nein!« Die Sache war schlimmer, als Walter befürchtet hatte. Schockiert fragte er: »Meint er das im Ernst?«
    »Das hängt von der Antwort ab.«
    Walter runzelte die Stirn. Kaiser Franz Josef bat um die Unterstützung durch Kaiser Wilhelm – das war der eigentliche Sinn des Briefes. Die beiden Nationen waren verbündet; also war der deutsche Kaiser verpflichtet, seine Unterstützung zumindest zu bekunden. Die Frage war, wie er das tat: leidenschaftlich oder widerwillig, ermutigend oder zur Vorsicht mahnend.
    »Ich vertraue darauf, dass Deutschland Österreich unterstützen wird«, sagte Robert ernst, »egal, wofür mein Kaiser sich entscheidet.«
    »Ihr wollt doch wohl nicht, dass Deutschland Serbien angreift!«, protestierte Walter.
    Robert erwiderte eingeschnappt: »Wir wollen die Versicherung, dass Deutschland seine Verpflichtungen als unser Verbündeter erfüllt.«
    Walter hielt seine Ungeduld im Zaum. »Das Problem dabei ist nur, dass die Kriegsgefahr erhöht wird. Genauso, wie Russlands Solidaritätskundgebungen für Serbien die Aggressionen fördern. Es ist jetzt erst einmal viel wichtiger, dass alle sich beruhigen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir zustimmen kann«, erklärte Robert steif. »Österreich hat einen furchtbaren Schlag hinnehmen müssen. Der Kaiser kann das nicht einfach übergehen. Wer einem Riesen trotzt, der muss zerschmettert werden.«
    »Lassen wir die Kuh im Dorf. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit …«
    Robert hob die Stimme. »Unser Thronfolger ist ermordet worden!« Ein paar Gäste am Nebentisch hoben den Kopf und runzelten die Stirn, als sie Deutsch in so wütendem Tonfall hörten. Robert senkte die Stimme, änderte aber nicht seinen Gesichtsausdruck. »Sprich du mir nicht von Verhältnismäßigkeit!«
    Walter versuchte, ruhig zu bleiben. Für Deutschland wäre es dumm und gefährlich, sich in diesen Streit einzumischen, aber es hatte keinen Sinn, darüber mit Robert zu diskutieren. Außerdem hatte er die Aufgabe, Informationen zu sammeln und nicht, einen Streit vom Zaun zu brechen. »Ich verstehe dich ja«, sagte er. »Sind alle in Wien dieser Meinung?«
    »In Wien, ja«, antwortete Robert. »Tisza ist allerdings dagegen.« István Tisza war der ungarische Premierminister, der jedoch dem österreichischen Kaiser unterstand. »Er hat als Alternative die diplomatische Isolation Serbiens vorgeschlagen.«
    »Das ist vielleicht nicht so dramatisch, dafür aber weniger riskant«, bemerkte Walter vorsichtig.
    »Nein, das ist einfach nur schwach.«
    Walter ließ die Rechnung kommen. Er war zutiefst beunruhigt von dem, was er gehört hatte. Aber er wollte keinen Streit mit Robert. Sie vertrauten und halfen einander, und daran durfte sich nichts ändern. Draußen, auf dem Bürgersteig, schüttelte Walter seinem Vetter die Hand und packte ihn am Ellbogen zum Zeichen unverbrüchlicher Kameradschaft. »Was auch geschieht, wir müssen zusammenhalten, Cousin«, sagte er. »Wir sind Verbündete, und das wird immer so bleiben.« Er ließ die Frage offen, ob er von ihnen beiden sprach oder von ihren Ländern. Sie trennten sich in Freundschaft.
    Walter ging schnellen Schrittes durch den Green Park. Die Londoner genossen den Sonnenschein, doch über Walter türmten sich düstere Wolken auf. Er hatte gehofft, Deutschland und Russland würden sich aus der Balkankrise heraushalten, aber was er bis jetzt gehört hatte, deutete eher auf das Gegenteil hin. Als er den Buckingham Palace erreichte, wandte er sich nach links und ging über die Mall zum Hintereingang der deutschen Botschaft.
    Walters Vater hatte ein Büro im Botschaftsgebäude und verbrachte ungefähr eine von drei Wochen hier. An der Wand hing ein Porträt von Kaiser Wilhelm, und auf dem Schreibtisch stand eine gerahmte Fotografie, die Walter in der Uniform eines Leutnants zeigte. Otto hielt irgendeine fein gearbeitete Töpferware in der Hand. Er sammelte englische Keramik und liebte es, auf die Jagd nach seltenen Stücken zu gehen. Walter schaute genauer hin und sah, dass es sich um eine Obstschüssel handelte, deren Kanten so fein gearbeitet waren, dass sie Flechtwerk glichen. Da er den Geschmack seines Vaters kannte, nahm er an, dass das Stück aus dem 18. Jahrhundert stammte.
    Bei Otto war Gottfried von Kessel, ein Kulturattaché, den Walter nicht mochte. Von Kessel hatte dichtes, dunkles Haar,

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