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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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riskant.«
    »Aber das Bild ändert sich von Stunde zu Stunde.«
    »Nächsten Sonntagmorgen. Smith Square.«
    Das ist das Problem mit Spionen, die aus Idealismus handeln, dachte Walter genervt: Man hat keine Handhabe gegen sie. Andererseits waren Spione, die ihrem Beruf für Geld nachgingen, nie vertrauenswürdig. In der Hoffnung auf einen Bonus erzählten sie einem, was man hören wollte. Wenn Anton hingegen sagte, der Zar habe Angst, konnte Walter sicher sein, dass Nikolaus II . noch keine Entscheidung gefällt hatte.
    »Treffen Sie sich wenigstens noch einmal Mitte der Woche mit mir«, flehte Walter, als die Hymne sich ihrem Ende zuneigte.
    Anton antwortete nicht. Stattdessen schlüpfte er so schnell wie möglich aus der Kirche. »Verdammt«, fluchte Walter leise. Das Kind neben ihm schaute ihn missbilligend an.
    Als der Gottesdienst zu Ende war, stand Walter auf dem Kirchenvorplatz und begrüßte Bekannte, bis Maud mit Fitz und Bea herauskam. In ihrem modischen grauen Seidenkleid mit dem dunkelgrauen Überkleid sah Maud umwerfend elegant aus. Grau mochte ja nicht die weiblichste aller Farben sein, aber es betonte Mauds statuenhafte Schönheit und schien ihre Haut zum Glühen zu bringen. Walter schüttelte allen die Hände und wünschte sich verzweifelt, ein paar Minuten mit Maud allein sein zu können. Er tauschte Höflichkeiten mit Bea aus – die in zuckersüßem Rosa und cremefarbener Spitze erschienen war – und pflichtete Fitz in feierlichem Ernst bei, die Ermordung des Erzherzogs sei eine »üble Angelegenheit«. Dann gingen die Fitzherberts, und Walter fürchtete schon, die Gelegenheit verpasst zu haben, als Maud ihm im letzten Augenblick zuraunte: »Zum Tee bin ich im Haus der Herzogin.«
    Walter lächelte Mauds schön geschwungenem Rücken hinterher. Er hatte sie gestern gesehen, und er würde sie morgen sehen! Aber er hatte Angst, sie heute nicht zu sehen.
    Konnte er es wirklich keine vierundzwanzig Stunden mehr ohne sie aushalten? Walter hielt sich nicht für einen schwachen Menschen, aber Maud hatte ihn verzaubert, und er verspürte nicht das geringste Verlangen, diesem Zauber zu entkommen.
    Es war Mauds unabhängiger Geist, den Walter so anziehend fand. Die meisten Frauen seiner Generation schienen mit der passiven Rolle zufrieden zu sein, die die Gesellschaft ihnen zudachte. Sie kleideten sich hübsch, organisierten Partys und gehorchten ihren Ehemännern. Walter war von diesem Typ Frau gelangweilt. Maud ähnelte mehr den Frauen, die er in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, während seiner Zeit an der deutschen Botschaft in Washington. Diese Frauen waren elegant und charmant, aber nicht unterwürfig. Von so einer Frau geliebt zu werden war geradezu unerträglich erregend.
    Beschwingten Schrittes ging Walter die Piccadilly hinunter und blieb an einem Zeitungsstand stehen. Die britischen Zeitungen zu lesen war nie besonders angenehm. Die meisten waren antideutsch, besonders die fanatische Daily Mail . Sie redeten den Briten ein, sie seien von deutschen Spionen umgeben. Wie sehr Walter sich wünschte, dass es wahr wäre! Er hatte gut ein Dutzend Agenten in den Küstenstädten, die sich notierten, welche Schiffe dort ein- oder ausliefen – genau wie die Briten es in den deutschen Häfen taten –, aber von Tausenden Spitzeln und Zuträgern, von denen hysterische englische Zeitungsverleger spintisierten, konnte nun wirklich nicht die Rede sein.
    Walter kaufte sich ein Exemplar von The People . Hier bestimmte der Ärger auf dem Balkan ausnahmsweise nicht die Schlagzeilen; die Briten sorgten sich mehr um Irland, wo schon seit Jahrhunderten eine protestantische Minderheit regierte, ohne die geringste Rücksicht auf die katholische Mehrheit zu nehmen. Sollte Irland die Unabhängigkeit erlangen, wäre es andersherum, und da beide Seiten, Protestanten wie Katholiken, bis an die Zähne bewaffnet waren, drohte ein Bürgerkrieg.
    Ein einziger Absatz unten auf der Seite behandelte die »österreichisch-serbische Krise«. Wie immer hatten die Zeitungen nicht die leiseste Ahnung, was los war.
    Als Walter gerade das Ritz betreten wollte, sprang Robert aus einer Motordroschke. Er trug eine schwarze Weste und eine schwarze Krawatte zum Zeichen der Trauer um den Erzherzog. Robert hatte zum Kreis um Erzherzog Franz Ferdinand gehört – progressive Denker nach Wiener Maßstäben, auch wenn sie in anderen Ländern eher als konservativ gegolten hätten. Walter wusste, dass Robert den Ermordeten und dessen

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