Sturz in den Tod (German Edition)
verknallt in sie. Ich auch, kann ich dir
sagen. Und sie mochte mich. Ich sah ja nicht schlecht aus damals. Hier, ich
zeige dir mal ein Foto von mir, Anfang der Sechziger.«
Günther holte seine speckige Brieftasche hervor
und zog ein Foto heraus, auf dem ein junger Mann zu sehen war, ein schlanker
Mann mit dichten schwarzen Locken und Vollbart. Ein fünfzig Jahre altes Foto
von dem heute kleinen, dicken Günther, mit lichtem weißen Haarkranz.
Günther lächelte sein Jugendporträt an. »Da
staunst du, was?«
Romy nickte.
Günther konnte sich an sich selbst kaum
sattsehen. »Das war die Zeit mit Romy. Die war keine gewöhnliche Frau. Hat
nicht jeden an sich rangelassen. Eines Tages war sie weg. Irgendein Reicher aus
Hamburg hat sie rausgeholt. Von einem Tag auf den anderen war sie weg, unsere
Romy. Romy Müller. Ist keine mehr nachgekommen, die so war wie sie.«
Günther griff wieder nach Romys Hand. »Du
erinnerst mich an sie.«
Romy zog ihre Hand weg. »Lass gut sein, Günther.«
»Habe ich nie vergessen, die Romy. Das Rendezvous
gibt es auch schon lange nicht mehr.«
***
Obwohl Nina damit rechnete, dass sich niemand in Herrn
Schadts Wohnung aufhielt, klingelte sie anstandshalber, bevor sie die Wohnung
aufschloss. Umso überraschter war sie, als Herr Schadt die Tür öffnete.
»Dann komm mal rein!«
Nina betrat das Zwei-Zimmer-Apartment und sah, dass auf dem Esstisch
neben der Berliner Zeitung die Lübecker Nachrichten lagen.
»Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass Sie hier sind«, sagte sie,
nur um etwas zu sagen.
Herr Schadt goss ihr eine Tasse Kaffee ein. »Travemünde jazzt. Das
lasse ich mir doch nicht entgehen! Da halte ich mir mein Apartment immer frei
für mich. Deine Mutter müsste das eigentlich wissen.«
Nina hatte die Aufbauten im Brügmanngarten gesehen. Als sie vorhin
an der Bühne vorbei in Richtung Maritim gegangen war, hatte gerade ein
Soundcheck stattgefunden. Manche Gäste hatten bereits rote Liegestühle belegt,
die neben den Stuhlreihen standen. Die Jazz Lips mit Lillian Boutté, John
Defferary und Gottfried Böttger waren neben anderen für dieses Wochenende
angekündigt. Jedes Jahr um diese Zeit traten drei Tage und Nächte lang
internationale Jazzmusiker in der Stadt auf.
Herr Schadt suchte den Schlüssel für die Bar, die in seine
Schrankwand eingebaut war, unter der Tischwäsche hervor. Nina kannte das
Versteck. Herr Schadt holte eine Cognacflasche aus der Bar. »Jetzt trinken wir
erst einmal einen auf den Schreck.«
Die Cognacschwenker waren aus verschiedenfarbigem Rauchglas. Er nahm
ein blaues. Nina bekam ihren Schnaps in einem alt-rosa Glas. Sie schwenkte es,
um den Staub darin im Cognac aufzulösen. Sie war nach dem vorherigen Abend noch
nicht wieder nüchtern, doch sie trank.
Herr Schadt trank ebenfalls und legte seine Hand auf Ninas Unterarm.
Herr Schadt legte gern seine Hände auf Arme oder woandershin.
»Ich habe wirklich einen ganz schönen Schreck bekommen, als ich das
in der Zeitung gelesen habe. Wie konnte denn das nur passieren?«
Nina zog die Schultern hoch. »Ich weiß es nicht. Ich war nur
dummerweise in der Wohnung, als die Polizei kam.«
»Aber was hast du denn da noch zu suchen gehabt?«
Nina kamen die Tränen. Herr Schadt goss noch mal die Cognacschwenker
voll.
»Nun beruhige dich mal, Mädchen. Jetzt putzt du schön meine Wohnung,
und ich bleibe solange hier und mache mich unsichtbar.«
Nina wusste, was das bedeutete. Herr Schadt würde eine seiner alten
Jazzplatten auflegen und sich in den Sessel am Fenster setzen. Er würde so tun,
als lese er Zeitung, und ihr heimlich bei der Arbeit zusehen, wenn sie sich
beim Bettbeziehen streckte oder beim Bodenreinigen bückte.
Sollte er doch! Oder blieb er heute, weil er ihr nicht mehr traute?
Nina wischte sich die Augen trocken, stand auf und ging ins
Schlafzimmer. Sie ließ die Tür weit offen. Herr Schadt legte eine Platte von
Nat King Cole auf, setzte sich in seinen Sessel und hielt sich die Zeitung vors
Gesicht. Nina stellte sich in den Türrahmen, mit einem Bettbezug in der Hand.
»Kannten Sie Frau Bergmann eigentlich?«
Herr Schadt ließ die Zeitung sinken und nickte vor sich hin. »Sie
und ihr Mann haben zur selben Zeit gekauft wie meine Frau und ich. Wir gehörten
zu den Erstkäufern. Unter uns hat sich damals eine richtige Clique gebildet.
Wir haben oft zusammen gefeiert, wenn wir hier waren. Tolle Partys waren das!
Das ging reihum, immer bei dem einen oder anderen in der Wohnung. Oder
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