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Sturz in den Tod (German Edition)

Sturz in den Tod (German Edition)

Titel: Sturz in den Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Gebert
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wusste
niemand außer ihrer Mutter etwas. Von dem Geld, das darin gewesen war, auch
nicht. Und dass Nina sich daran bedient hatte.
    Sie hatte die Scheine zurückgelegt. Und doch verspürte sie ein
schlechtes Gewissen, als hätte sie mit der Sache zu tun. Als hätte sie etwas zu
verbergen. Als müsste sie sich verstecken.
    Nina ging an den Kosmetikregalen entlang. Sie widerstand dem
Verlangen, einen Lippenstift in ihre Tasche rutschen zu lassen. Sie klaute
gelegentlich, grundsätzlich nur Kleinigkeiten, Lippenstifte besonders gern,
obwohl sie selten welche benutzte. Heimlich einen Lippenstift einzustecken,
ließ Adrenalin durch ihren Körper schießen. Zuerst, wenn sie den Lippenstift
einsteckte und hoffte, dabei nicht beobachtet zu werden, dann, wenn sie das
Diebesgut an der Kasse vorbeischmuggelte und schließlich, wenn sie den Laden verließ
und bei jedem Schritt befürchtete, dass doch noch jemand sie aufhalten könnte.
Erst weit entfernt vom Geschäft fiel der Adrenalinspiegel schlagartig ab. Heute
verspürte Nina kein Verlangen nach Aufregung. Seit der Sache schoss pausenlos Adrenalin durch ihren Körper, mehr als sie beim Klauen
produzierte. Die Polizei, die Presse, die Leute, offenbar sogar ihre Mutter
trauten ihr nicht nur Diebstahl zu, sondern auch Mord, das regte sie genug auf.
    Tränen stiegen in ihr hoch. Sie stellte sich weit hinten im Laden
hinter ein Regal, wo Fische und Leuchttürme aus Gips, Muscheln und
Buddelschiffe ausgestellt waren, bis sie sich beruhigt hatte.
    Auf dem Weg zur Kasse sah sie eine alte Dame, die eine Schachtel
Ernte 23 und die Lübecker Nachrichten aufs Band legte, während sie mit der
Kassiererin über den »Mord im Maritim« plauderte. Nina ließ ihre Einkäufe in
irgendeinem Regal zurück und verließ eilig den Drogeriemarkt.
    An der Alten Vogtei, dem ältesten Haus Travemündes, bauten Künstler
die unterschiedlichsten Windobjekte auf. Ein Aufsteller kündigte die
Ausstellungseröffnung einer Malerin im Obergeschoss der Vogtei an.
    Nina hatte Lust, dorthinzugehen. Vielleicht mit Jan. Er war es, in
dessen Gegenwart am wenigsten Schuldgefühle in ihr aufkamen. Bei Jan fühlte sie
sich sicher. Nina war dabei, sich wieder in ihn zu verlieben, wenn sie nicht
bereits verliebt war. Doch sie wollte so bald wie möglich weg aus Travemünde.
Sie befürchtete, dass Jan und sie sich dann wieder aus den Augen verlieren
würden. Diesen Schmerz wollte sie nicht noch einmal erleben. Wenn sie dieses
Mal Travemünde verlassen würde, sollte Jan ihr gleichgültig sein.
    Nina bog ab in Richtung Kirchplatz, wo ihr Elternhaus stand. Auf dem
menschenleeren Platz waren zwischen den Bäumen Seile gespannt, an denen immer
noch selbst gebastelte Osterhasen und Ostereier aus Holz im Wind baumelten.
    Plötzlich fuhr jemand mit großer Geschwindigkeit in die Straße und
bremste scharf vor Ninas Haus. Ein Polizist stieg aus dem Wagen und klingelte
an der Haustür. Marianne Wagner öffnete, der Mann übergab ihr einen Brief.
Ninas Mutter trat einen Schritt aus der Tür und sah in Ninas Richtung. Nina
drückte sich hinter die große Bronzefigur am Brunnen. Der Polizist fuhr ab.
    Die Mutter sah noch eine Weile zu Nina, bevor sie mit dem Brief
zurück ins Haus ging.
    ***
    Kurz bevor der Gast im Déjà-Vu sie auf
die Spur ihrer Mutter brachte, hatte Romy beschlossen, das Thema ruhen zu
lassen, ein für alle Mal damit abzuschließen. Nun nahm sie erneut eine Fährte
auf. Dieses Mal mit Erfolg. Sie machte ihre Mutter in Travemünde ausfindig.
    Sie schrieb ihr mehrere Briefe. Briefe, in denen
sie ihre Geschichte erzählte. Briefe voller Vorwürfe. Sie zerriss sie alle. Sie
schrieb auch Briefe, in denen sie um ein Wiedersehen bat, um ein, wenn auch
spätes, Zueinanderfinden von Mutter und Tochter. Sie zerriss sie. Dann Briefe,
in denen sie ihr Verständnis beteuerte, ihrer Mutter verzieh, was diese ihr
angetan hatte. Sie zerriss sie.
    Schließlich schrieb sie nur zwei Zeilen: »Liebe
Mutter, ich würde dich gern kennenlernen. Romy (Tel. 0179-48762700)«.
    Bereits einen Tag, nachdem sie diesen Brief
abgeschickt hatte, sah sie beinahe unentwegt aufs Handy. Sie kontrollierte
mehrmals täglich den Briefkasten. Doch ihre Mutter schrieb ihr nicht und rief
sie auch nicht an.
    Romy beschloss, ihr Bedenkzeit einzuräumen, weil
sie diese sicherlich brauchte nach dem Schock, den der Brief ihrer Tochter
ausgelöst hatte. Nach dem Schock, dass die Vergangenheit von Elisabeth
Bergmann, geborene Müller, im Milieu Romy genannt,

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