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Sturz in den Tod (German Edition)

Sturz in den Tod (German Edition)

Titel: Sturz in den Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Gebert
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aufgeflogen war. Romy
überlegte, ob sie in ihrem Brief hätte beteuern sollen, dass sie das Geheimnis
ihrer Mutter niemandem verraten würde. Sie überlegte außerdem, ob sie einen
weiteren Brief hinterherschicken sollte. Denn sie befürchtete auch, dass ihr
Brief nicht angekommen sein könnte. Angeblich gingen doch täglich Hunderte
Briefe verloren.
    Romy trank und rauchte zu viel und vergaß
manchmal das Essen. Sie wartete, wartete und fixierte das Handy, als wäre es
ihr Feind.
    Ihre Mutter rief nicht an.
    Nach vier Wochen Warten beschloss Romy, den Zug
nach Travemünde zu nehmen.
    ***
    Auf dem Weg zum Haus seiner Eltern sah Jan auf die Uhr und
tat dann etwas, das er um diese Zeit noch nie getan hatte. Er kaufte sich an
der Strandoase auf der Kaiserallee ein Bier, nahm es mit ans Meer, lehnte sich
gegen einen leeren Strandkorb, trank das Bier, während er übers Wasser sah. Er
dachte dabei an Nina und fragte sich erneut, weshalb sie nicht anrief. Er hätte
sie jetzt gern neben sich. Er war froh, dass sie sich wiederbegegnet waren. Er
wollte, dass sie nie mehr fortging. Auch beim heutigen Abendessen mit seinen
Eltern wüsste er sie gern neben sich. Bei diesem wöchentlichen Ritual, das
seine Eltern eingeführt hatten, nachdem Jan vom Studium aus Berlin
zurückgekehrt war, um sich in Travemünde als Anwalt und Notar niederzulassen.
Seit er »nach Hause« zurückgekommen war, wie seine Mutter es bezeichnete. Noch
nie hatte Jan auf diese Verabredung zum Essen so wenig Lust wie heute verspürt.
Er liebte seine Eltern, doch gelegentlich kam es ihm vor, als befände er sich
an einem Gummiband, an dem sie nur zu ziehen brauchten, um ihn wieder ganz bei
sich zu haben. Manchmal fragte er sich, weshalb er nach dem Studium nach
Travemünde zurückgekehrt war. Seine Eltern hatten das nie wirklich von ihm
verlangt, doch ihm immer wieder in Aussicht gestellt, dass er eines Tages die
Maklerfirma seines Vaters würde übernehmen können. Hatte Jan sich dadurch
einfangen lassen?
    Sein Vater hatte die Familie durch das Verkaufen von Wohnungen in
Travemünde, Niendorf, Timmendorf und Lübeck zu einer der wohlhabendsten in
Travemünde gemacht. Noch trat er als Makler nicht ab, weil ihm der Beruf nach
wie vor viel Freude machte, doch Jan wusste, dass seine Eltern davon ausgingen,
dass er als einziger Sohn eines Tages das einträgliche Immobiliengeschäft
weiterführen werde. Lange war es Jan so vorgekommen, als wäre es sein eigener
Wunsch gewesen, Jura zu studieren, inzwischen fragte er sich, ob es nicht vor
allem der Wunsch seiner Eltern gewesen war, weil Jura einem zukünftigen Makler
nicht schaden konnte.
    Der Strand war fast menschenleer. Zwei Spaziergänger, die ihre
Schuhe in der Hand trugen und barfuß durchs Salzwasser wateten. Eine ältere
Frau bückte sich nach kleinen Muscheln. Ein junger Mann ließ auf Höhe des
Maritim einen Lenkdrachen steigen. Drei große Möwen staksten Jan durch den Sand
entgegen und beäugten, ob er Essbares bei sich hatte. Als sich eine Krähe im
Sturzflug näherte, verscheuchten die Möwen sie mit breitem Flügelschlag und
kehligem Geschrei. Die Sonne, die eben noch recht warm in Jans Gesicht
geschienen hatte, war plötzlich nicht mehr zu spüren. Sie wurde vom Maritim
verdeckt. Jan wusste, dass es etwa eine halbe Stunde dauern würde, bis die
Sonne um den Turm herumgewandert war und wieder über diesen Strandabschnitt
schien. Als im nächsten Moment sein Handy klingelte, sah er erschrocken auf die
Uhr, weil er befürchtete, dass seine Mutter anrief. Doch Ninas Name war auf dem
Display seines Handys. Jan versuchte, sich seine Freude nicht anmerken zu
lassen.
    »Rechtsanwalt Andresen, guten Tag.«
    »Ich bin’s, Nina. Ich habe eine Vorladung bekommen. Nach Lübeck.
Morgen früh. Ich will da nicht allein hin …«
    »Was steht noch in dem Schreiben?«
    »Nichts. Irgendwas von Befragung, Zeugenvernehmung. Ich meine, ich
war doch nicht dabei, als die alte Frau Bergmann …«
    »Wann sollst du in Lübeck sein?«
    »Neun Uhr.«
    »Ich hole dich halb neun ab.«
    »Danke«, sagte Nina leise.
    Jan hielt noch eine Weile das Handy ans Ohr, obwohl Nina bereits
aufgelegt hatte. Er richtete sich auf und stellte die Bierflasche auf den
Deckel einer Mülltonne, damit sie der nächste Flaschensammler gleich entdeckte
und sie nicht erst aus dem Müll fischen musste.
    Er wählte Ninas Nummer.
    »Wenn du willst, können wir uns heute Abend noch treffen und darüber
reden.«
    Nina zögerte eine Weile und wollte es

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