Sturz in den Tod (German Edition)
Glas, trank einen großen Schluck, lehnte sich zurück
und fühlte sich plötzlich übermütig. »Ich muss allerdings sagen, dass mir bei
aller Auslastung Familienstreitigkeiten und Kaufverträge irgendwann langweilig
werden könnten. Deshalb habe ich mir überlegt, ab und zu auch ein bisschen
Strafrecht zu machen und auch als Verteidiger zu arbeiten.«
»Wen willst du denn hier verteidigen? Hier passiert doch nur alle
zehn Jahre was«, fragte sein Vater.
»Aber wenn, dann könnte ich das machen. Muss ja nicht immer Mord und
Totschlag sein, es gibt ja auch kleinere Verbrechen.«
Inge Andresen schüttelte lächelnd den Kopf. »Nachher engagierst du
noch einen Privatdetektiv, wie der im Fernsehen, wie heißt der noch, na, ich
komme jetzt nicht drauf. Und dann findet ihr heraus, wer hier alles wen
betrügt.« Jans Mutter stieß ihr Glas gegen das ihres Mannes. »Und dann findet
er dabei heraus, wem du schon alles Wohnungen verkauft hast. Dass das aber alles
sauber ablief, vielleicht ein bisschen überteuert, aber kein Betrug. Oder unser
Großer muss Ehebrecher ausfindig machen.«
»Niemals Betrug!«, sagte Michael Andresen und lächelte seine Frau
an. »Auch in der Ehe nicht.«
So liebte Jan seine Eltern.
»Hast du damals auch an Frau Bergmann verkauft?«
Michael Andresen nickte.
»Ich habe dem Paar eine der großen Eckwohnungen im Maritim verkauft.
Und später auch noch einen Wirtschaftsraum dazu. Den wollten sie für ihren
kleinen Sohn. Hauptwohnsitz war Hamburg, wo Herr Bergmann wohl eine gut gehende
Firma hatte. Angenehme Leute waren das. Ist lange her, da warst du noch gar
nicht auf der Welt. Der Sohn müsste jetzt schon über vierzig sein.
Wahrscheinlich führt er den Betrieb seines Vaters weiter und wird die Wohnungen
im Maritim behalten. Wenn sie sie loswerden wollen, wäre es natürlich schön,
wenn sie damit zu mir kämen. Die große Wohnung müsste jetzt bei drei- bis
vierhunderttausend Euro liegen. Knapp sechs Prozent Makler-Courtage für mich.
Und dann noch der Wirtschaftsraum dazu, da kommt was zusammen. Vielleicht
sollten wir mal Kontakt zum Sohn aufnehmen.«
»Jetzt gibt es erst mal ein feines Dessert«, sagte Inge Andresen.
»Eis mit heißen Himbeeren! Wer möchte einen Espresso dazu?«
Jan und sein Vater hoben gleichzeitig die Hände.
***
Romy setzte sich auf die Bank vor der
alten Betontreppe zur Maritim-Residenz. Sie sah immer wieder über den niedrigen
Bretterzaun, hinüber zu den Gästen, die sich im Schwimmbecken oder im
Ruhebereich des Schwimmbades aufhielten, aber eigentlich galt ihre
Aufmerksamkeit dem Eingang der Residenz. Dort saß in einem Glaskasten ein
Pförtner, an dem man nicht vorbeikam, ohne sich vorzustellen und anzugeben, zu
wem man wollte, und der Romy kurz gemustert hatte, als sie sich der Tür
genähert hatte. Nun, hier auf der Bank sitzend, konnte er sie nicht mehr sehen.
Romy trank Kaffee aus einem Pappbecher, den sie
sich vom Stadtbäcker an der Promenade geholt hatte. Sie aß dazu ein Stück
Mohnkuchen, das sie kaum hinunterbekam. Hinter ihrem Rücken waren Arbeiter mit
Baggern und Planierraupen dabei, irgendwelche Schuttberge zu beseitigen. Auch
die Promenade am Meer wurde saniert. Romy machte der Baulärm dünnhäutig. Sie
steckte sich eine Zigarette an. Aus der Residenz kamen ab und zu alte Leute.
Jedes Mal erwartete Romy, dass jetzt ihre Mutter aus der Tür treten werde. Sie
hatte ein Foto von ihr im Internet entdeckt, ein Foto von einer Jubiläumsfeier
eines mittelständischen Hamburger Betriebs. »Elisabeth und Anton Bergmann
gemeinsam mit ihrem Sohn Alexander«, stand unter dem Foto, das nur ein paar
Jahre alt war. Das Gesicht Elisabeths, ihrer Mutter, hatte sich Romy genau
eingeprägt. War Anton ihr Vater? Alexander ihr Bruder? Jedes Mal, wenn eine
Fremde aus dem Haus trat, war sie enttäuscht. Zugleich auch erleichtert, dass
sie ihrer Mutter noch nicht gegenüberzutreten brauchte. Denn sie hatte keine
Ahnung, wie sie es tun sollte. Sie würde es einfach tun. Sie musste es tun.
Dann würde sich alles Weitere ergeben, hoffte Romy.
Romy bedauerte, dass sie den Mohnkuchen an
Spatzen verfüttert hatte. Es wurde Abend. Sie hatte Hunger. Die Zigaretten
schmeckten auf nüchternen Magen nicht, doch sie rauchte, während sie weiterhin
wartete.
Dann trat sie plötzlich aus der Tür: Romys
Mutter. Elisabeth Bergmann.
Romy erkannte sie auf Anhieb.
Sie schob den leeren Kaffeebecher und das
Kuchenpapier unter die Bank und stieg in sicherem Abstand die Treppe
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