Sturz in den Tod (German Edition)
quer verliefen. Nina hatte diese Falten, seit sie ein
junges Mädchen war, weil sie ständig die grünen Augen aufriss, als staunte sie
über etwas.
»Du könntest doch das Testament öffnen. Niemand würde es bemerken.«
Jan schüttelte den Kopf.
Nina schmiss ihm den Briefumschlag über den Tisch.
»Du bist wirklich eine tolle Hilfe!«
»Nina! Bitte!«
Nina zeigte auf den Briefumschlag. »Du wirst bei der
Testamentseröffnung vermutlich dein blaues Wunder erleben. Oder besser gesagt,
der Sohn von Frau Bergmann wird sein blaues Wunder erleben. Lies mal.«
Jan nahm zwei Briefe aus dem Umschlag und las.
»Verstehe ich nicht. Von einer Tochter hat sie nie etwas gesagt.
Wenn sie wegen ihres Testaments hier war, hat sie nur ihren Sohn erwähnt. Und
dass der nicht mehr so viel brauche und sie sich deshalb entschieden habe,
Teile ihres Vermögens für einen guten Zweck auszugeben. Aber auch das dürfte
ich dir eigentlich nicht sagen.«
»Und du glaubst, das hat dem Sohn gefallen, so verbissen, wie der
vorhin in der Wohnung nach dem Testament gesucht hat?«
»Keine Ahnung. Noch weiß er ja nicht, wie viel er bekommt.«
»Und wenn sie es ihm gesagt hat? Und er gehofft hat, die letzte
Fassung des Testaments noch rechtzeitig vernichten zu können?«
Worüber redeten sie hier, dachte Jan. In was waren sie hineingeraten?
Weshalb konnten sie nicht einfach ein Paar sein, das unbeschwert miteinander
umging? Jan sah aus dem Fenster. Die » MS Luzia«
fuhr zu einer Bestattung hinaus.
»In wenigen Tagen wird Frau Bergmann bestattet, danach wird sofort
die Testamentseröffnung sein. Der Sohn wird erst dann erfahren, was er erbt. Er
hatte also kein Motiv, seine Mutter umzubringen«, sagte Jan.
»Es sei denn, er hat bereits gewusst, dass sie angefangen hat, ihm
immer weniger zuzugestehen. Und er wollte sie stoppen«, entgegnete Nina.
Ein Sohn, der seine Mutter umbringt, wegen Geld. Jan wurde das
plötzlich alles zu viel: Sie waren hier doch nicht in irgendeinem Krimi.
»Warte die Testamentseröffnung ab. Ich erzähle dir dann, was war.«
»Und solange verdächtigt mich weiterhin die Polizei – als
Mörderin.«
»Nina, wenn du ans Telefon gehen würdest, wüsstest du es längst. Die
Polizei hat nicht nur den Leichnam von Frau Bergmann freigegeben. Sie hat auch
die Akte geschlossen. Die gehen jetzt doch von Selbsttötung aus.«
Jan lächelte. Nina nicht.
»An mir bleibt trotzdem etwas kleben, wenn nicht herausgefunden
wird, was wirklich war. Das könnte ich nicht ertragen. Der Sohn von Frau
Bergmann möchte auch wissen, was wirklich geschehen ist. Er hat mich
beauftragt, es herauszufinden.«
Jan lachte auf. »Das ist nicht dein Ernst!«
»Doch! Hast du schon vergessen: Er hält mich für deine
Mitarbeiterin. Und er zahlt mir ein gutes Tageshonorar.«
»Du bist nicht meine Mitarbeiterin!«
Nina erhob sich. Jetzt lächelte sie.
***
Alexander Bergmann parkte seinen Mercedes auf dem für ihn
reservierten Parkplatz des Firmengeländes. Das Nummernschild, das diesen Platz
kennzeichnete, war immer noch das seines längst verstorbenen Vaters. Heute
blieb Alexander nicht wie so oft noch eine Weile im Auto sitzen, sondern stieg
sofort aus. Er fühlte sich beinahe beschwingt. Er hatte jetzt das Gefühl, etwas
Wichtiges zu tun zu haben, etwas, das er auch bewältigen konnte und das ihn
weiterbringen würde. Wie weit, wusste er zwar noch nicht genau. Er hoffte, sehr
weit.
In der Tür zur Teeküche standen drei seiner Bauzeichnerinnen,
grüßten knapp und ließen sich durch das Erscheinen ihres Chefs beim Klönen
nicht weiter stören. Stieg ansonsten in solchen Situationen Beklemmung in
Alexander Bergmann auf, weil es an ihm als Chef war, Kritik zu äußern, so
dachte er heute: »Wartet nur, euch werde ich es zeigen!«
Er wehrte seine Sekretärin ab, die ihm dringend etwas mitteilen
wollte. In seinem Büro suchte er bei Google Einträge zum Stichwort Seebestattungen in Travemünde . Ihm war dabei leicht ums
Herz, vielleicht weil seine Sorgen nun bald ein Ende haben würden, vielleicht
auch weil er feststellte, dass Seebestattungen viel weniger kosteten, als er
vermutet hatte. Außerdem waren sie kurzfristig buchbar, sogar übers Internet.
Wie um sich selbst zu bremsen, wählte Alexander Bergmann die Nummer
seiner Frau. Zu Hause nahm sie nicht ab. Er rief sie auf dem Handy an. Mailbox.
Alexander Bergmann sah auf die Uhr. Vermutlich war seine Frau im Meridian, wo
sie, seit ihre Tochter zu einem Auslandssemester in den USA
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