Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
insgesamt ernsthafter veranlagt als ich. Sicherlich war es ihr zu peinlich, um es ihren Freundinnen zu erzählen, aber sie ging verantwortungsbewusster damit um.
Ich stellte mich neben sie, schaute aber weiter geradeaus. »Komme ich dir irgendwie bekannt vor? Nur ein klitzekleines bisschen?«
Ich spürte, wie sich ihr Blick in mein Gesicht bohrte, dann flüsterte sie. »Du siehst ein bisschen aus wie mein Bruder.«
Unwillkürlich erschien ein Lächeln auf meinem Gesicht. »Willst du eine verrückte Geschichte hören?«
»Okay«, sagte sie langsam.
»Ich fasse es nicht«, murmelte sie zum ungefähr zwanzigsten Mal. »Und du hast mich wirklich schon mal angesprochen? Wie oft denn?«
»Nur einmal.« Nachdem Courtney sich zwischen Anwesenheitsliste und der ersten Stunde geschickt aus dem Unterricht davongeschlichen hatte, standen wir nun in einem kleinen Buchladen gleich um die Ecke von der Schule. Ich erzählte ihr dieselbe Geschichte wie beim ersten Mal. Sie hatte recht. Es war tatsächlich wie Und täglich grüßt das Murmeltier .
Ich sah mich ständig suchend um in der Erwartung, einen Blick auf den verstohlen agierenden Spion Agent Freeman zu erhaschen, aber bislang konnte ich ihn nirgends erspähen.
»Warum hast du denn nicht daran gedacht, dir einen Mantel mitzubringen, wenn du doch wusstest, wo du hinreist?«, fragte sie.
Ich verdrehte die Augen. »Sehr lustig. Zum Packen blieb mir keine Zeit.«
Sie verlagerte das Gewicht auf ihre Ferse und lehnte sich an eins der Bücherregale. »Wie lange ist es denn her, dass du aus der Zukunft losgereist bist? Aus der im Jahr 2009, meine ich.«
»Genau weiß ich das nicht, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Möchtest du woanders hingehen?« Irgendwohin, wo Agent Freeman vielleicht unsere Fährte aufnimmt?
»Klar, aber zuerst sollten wir mal einen Mantel für dich kaufen gehen. Kurze Ärmel bei zehn Grad sind nicht gerade die beste Art, sich unauffällig unters Volk zu mischen.«
Ich grinste. »Eine Zwölfjährige mit einer Kreditkarte. Was da alles passieren kann.«
Sie lachte schnaubend, dann verließen wir den Laden und traten in die kalte Luft hinaus.
Courtney mit zwölf war anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich war immer gut mit meiner Schwester ausgekommen, aber jetzt wirkte sie einfach so quirlig und hinreißend auf mich. Reif, aber immer noch ein kleines Mädchen mit viel Phantasie. Was exakt der Grund war, warum ich ihr meine total verrückte Geschichte überhaupt erzählen konnte und sie sie mir auch noch abnahm. Kinder lassen einfach viel mehr Dinge gelten als Erwachsene. Trotzdem hatte das, was ein Kind glaubte, natürlich Grenzen, aber mit Courtney war es so, als könnte sie in mich hineinsehen und als wüsste sie, dass ich nicht log.
In einem Kaufhaus spendierte Courtney mir mit ihrer Kreditkarte einen neuen Mantel, bevor wir unser nächstes Abenteuer planten.
»Wie machst du das eigentlich, dieses Durch-die-Zeit-Springen?«, fragte sie.
Wir waren jetzt an der Metropolitan Opera und mischten uns unter die Touristen. »Wie es funktioniert? Keine Ahnung, wie ich das erklären soll. Das ist so, als müsste ich erklären, wie man atmet.«
»Glaubst du, ich kann es auch?«
Ich wandte den Blick von ihr ab. »Gute Frage. Versuch’s doch einfach mal.«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Warum kannst du mir nicht einfach verraten, ob ich auch Superkräfte besitze? Auf so was muss man sich ja schließlich innerlich vorbereiten.«
Ich zögerte und bemerkte, dass mich wieder tiefe Trauer überkam, wie schon beim letzten Mal. Aber ich riss mich zusammen und schaute beim Antworten weiter starr geradeaus. Das hier würde ohnehin nicht mehr viel länger andauern. Bald würde sie jemand holen kommen. »Tut mir leid. Aber es würde gegen den Ehrenkodex für Zeitreisende verstoßen, wenn ich es dir verriete. Nachher schmeißen die mich noch raus.«
Sie schien nicht zu bemerken, dass ich mich vor der Beantwortung ihrer Frage drückte, und ich seufzte vor Erleichterung.
»Verdammt. Das kommt bestimmt von Mom, oder?« Sie sagte das, als wäre es eine allgemein bekannte Tatsache. »Dad ist kein Zeitreisender. Superkräfte kommen von einem Superelternteil.«
»Oder von einem Bottich mit giftigem Abfall«, fügte ich hinzu.
Courtney schüttelte kichernd den Kopf. »Das bezweifle ich.«
Adam und ich hatten bei unseren Erklärungsversuchen auch schon hin und wieder in Richtung Genetik gedacht. Zum Beispiel das eine Mal, als ich geglaubt hatte,
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