Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen, aber sie zögerte, bevor sie einschlug. Sobald sie stand, ließ ich sie wieder los. Sie zu berühren löste zu viele Erinnerungen in mir aus. »Ich geh jetzt besser. Arbeitest du morgen auch?«
»Ja, ich bin so ziemlich jeden Tag hier.«
Nachdem Holly mir gezeigt hatte, was beim Abschließen der Tür zu beachten war, lief ich mehrere Blocks bis zur Bahn. Mit jedem Schritt, den ich machte, hasste ich die Entfernung zwischen uns ein Stück mehr.
14
Montag, 10. September 2007
Als ich in die Wohnung kam, erkannte ich sofort die Stimme meines Vaters. Er sprach kein Englisch. Eher so etwas Ähnliches wie Russisch.
Ich lehnte mich draußen vor der Küche an die Wand und hörte zu, während er noch ein oder zwei Minuten weiterredete. Dann legte er auf.
»Jackson, bist du das?«
So viel zum heimlichen Lauschen. »Ja, Dad?«
Er kam in den Flur. »Wo warst du?«
»Äh … ja, ich hab einfach nur … ein paar Leute getroffen.«
Er runzelte die Stirn. »Es ist schon spät. Wäre nett, wenn du anrufen und Bescheid sagen würdest.«
»Tut mir leid«, murmelte ich und wechselte das Thema. »Hast du gerade Russisch gesprochen?«
Er drehte mir den Rücken zu. »Nein, Türkisch. Wir testen gerade ein neues Medikament in der Türkei. Und ich möchte so weit wie möglich ohne Dolmetscher auskommen.«
Total geheime CIA-Angelegenheiten.
Plötzlich fiel mir ein anderer verdächtiger Vorgang wieder ein. Einer aus der Zukunft. Als ich noch ehrlich gedacht hatte, Dad sei ein Snob, weil er was dagegen hatte, dass ich mit einem ganz normalen Mädchen zusammen war. Das war Mitte Juli 2009 gewesen. Holly und ich kamen gerade von einem abendlichen Restaurantbesuch zurück nach Hause. Sie sprang auf meinen Rücken, und wir begrüßten Henry an der Tür. Er schüttelte lachend den Kopf. »Schönen Abend noch, Mr Meyer. Miss Flynn.«
»Warum nennen die einen nie beim Vornamen?«, fragte Holly.
»Sie weigern sich. Glaub mir, ich hab’s versucht.«
Noch bevor ich die Tür zur Wohnung aufgeschlossen hatte, küsste sie meinen Nacken. Wir hatten das Wochenende beide außerhalb der Stadt verbracht. Fünf Tage waren wir voneinander getrennt gewesen und hatten es eilig, ungestört zu sein, um … nun ja, wenigstens rumzuknutschen. Zuerst essen zu gehen war jedenfalls eine blöde Idee gewesen.
»Möchtest du was trinken?«, fragte ich und öffnete den Kühlschrank an der Bar im Wohnzimmer.
»Diesen fruchtigen Weißwein mag ich gern. Habt ihr davon noch was?«
Ich nahm die Flasche aus dem Kühlschrank und entschied mich gegen Gläser. Nachdem unser Restaurantbesuch schon geplant gewesen war, konnte ich es nicht abwarten, endlich wieder in unsere wilde Romanze einzutauchen, wie in der vorangegangen Woche. »Komm, heute besaufen wir uns.«
»Was feiern wir denn?«, fragte Holly, während wir in mein Zimmer gingen und sie sich aufs Bett setzte.
Nichts … bis jetzt , dachte ich, entkorkte die Flasche und reichte sie ihr. »Uns, natürlich. Die zwei coolsten Menschen der Welt.«
Sie nahm einen Schluck von dem fruchtigen Wein, wie sie ihn nannte. »Ich fasse es nicht, dass du kein Glas benutzt. Wie viel kostet so eine Flasche denn?«
Ich las das Etikett. »Keine Ahnung … vielleicht hundert Dollar.«
Holly verschluckte sich. »Hundert Dollar! Man kann sich auch mit einer Flasche Whiskey für zehn Dollar betrinken.«
Ich lachte. »Du hast ihn ausgesucht. Du könntest dich außerdem auch mit zwei oder drei Bier betrinken.«
Sie verdrehte die Augen, dann lächelte sie wieder. »Erzähl mir von Europa. Adam hat sich gar nicht mehr eingekriegt, dass er die Alpen gesehen hat und Männer mit Hosenträgern und Lederhosen.«
»Du zuerst. Was hast du in Indiana gemacht?«, fragte ich, um Zeit zu schinden und meine Geschichte in Gedanken noch ein bisschen zu überarbeiten.
»Jackson, das liegt im Mittleren Westen und ist vollkommen langweilig. Ich hab mit meiner Oma jede Menge Plätzchen gebacken und auf meine kleinen Cousins aufgepasst.«
Ich lieferte ihr eine Kurzfassung von meiner Deutschland-und-Italien-Reise mit Adam. Alles, was mit Zeitreisen zu tun hatte, sparte ich natürlich aus. Dann war die Flasche leer, und Holly ging meine CDs durch.
Als sie eine ausgesucht hatte, krabbelte sie neben mich aufs Bett. »Ich weiß ja, dass zwischen uns alles cool und zwanglos ist, aber ist es auch noch cool, wenn ich sage, dass ich dich vermisst habe? Nur ein bisschen, als mir total langweilig war; als
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