STYX - Fluss der Toten (German Edition)
hier in Venedig noch so berauschende Feste feiert«, sagte Natalie.
»Aber selbstverständlich tut man das«, antwortete der Graf. »Und dieses Fest findet nur Ihnen zu Ehren statt.«
»Mir zu Ehren?« wiederholte Natalie erstaunt.
Der Graf antwortete nicht. Die junge Frau glaubte plötzlich einen kalten Hauch zu spüren, der von dem Mann ausging, aber das konnte auch Einbildung sein. Sie lächelte ihn an. Obwohl er sein Gesicht hinter einer Maske verbarg, fühlte sie sich aus einem unbestimmten Grund zu ihm hingezogen.
Der unsichtbare Discjockey steigerte ganz langsam die Musik und beschleunigte den Rhythmus. Natalie tanzte immer ausgelassener. Graf Ferroni zog seine Tanzpartnerin an sich und streichelte leidenschaftlich ihre Schultern. Wie Spinnen krochen seine Finger über ihre Haut.
»Kommen Sie«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Es ist soweit.«
»Was meinen Sie?« fragte Natalie erstaunt.
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Der Graf ging voran und Natalie folgte ihm. Zusammen gelangten sie in den großen Eingangsbereich. Dort öffnete er eine Tür und schob die junge Frau in das angrenzende Zimmer. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet. Eine Wand wurde von einem großen Kamin beherrscht. Das Feuer flackerte angenehm und verbreitete eine wohlige Wärme. Davor stand ein schmiedeeiserner Ständer, der eine Feuerzange und einen Haken enthielt. Die Möbel waren aus dunklem Holz gefertigt und gaben dem Raum ein merkwürdig düsteres Ambiente. Es gab zwei Stühle, einen kleinen Tisch und einen altmodischen Schrank. Die Wände waren mit Hartholz getäfelt und hatten denselben dunkelbraunen Farbton wie die Deckenbalken.
Graf Ferroni ging zum Kamin und betätigte einen verborgenen Schalter auf der rechten Seite. Ein leiser ächzender Laut wurde hörbar. Staub fiel aus der sich vergrößernden Spalte zwischen den Holztafeln neben dem Kamin, als ein Teil der Wand langsam nach hinten zurückwich. Die entstandene Öffnung war mannshoch und etwas weniger breit.
»Folgen Sie mir«, sagte der Graf.
Natalie zögerte einen Moment.
Der Anblick des dunklen Eingangs ließ eine merkwürdige Nervosität in der jungen Frau aufsteigen, die sie sich nicht erklären konnte. Trotzdem setzte sie sich in Bewegung und stieg die Stufen hinab. Das Tapsen ihrer Füße erschien ihr ebenso laut wie das dumpfe Schlagen ihres Herzens. Die Treppe endete in einer großen Höhle. Statt der Dunkelheit, die sie anzutreffen erwartete, blickte sie nun in ein sanftes bläuliches Licht, das durch mehrere Ritzen im Felsgestein hereinbrach. Die Luft war wohlriechend und eher lau als feucht. Es war so hell, dass Natalie jedes Detail erkennen konnte. Die Höhle bestand aus Granit und ihre Wände funkelten wie Diamanten. Auf der linken Seite befand sich ein breiter Bootssteg, an dem eine Gondel befestigt war.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte der Graf und machte eine einladende Handbewegung.
Zögerlich folgte Natalie der Aufforderung. Vittorio di Ferroni löste das Tau, stieg in die Gondel und stieß sie vom Steg ab. Mit einer langen Stange stakte er das Boot vorwärts. Das Gewässer war nicht tief und die Fortbewegung sehr einfach – wenn man diese Technik beherrschte. Natalie war fasziniert von dem Anblick. Eine so prächtige Höhle hatte sie noch nie gesehen. Doch bald waren sie von dichten Nebelbänken umgeben. Nur hin und wieder ließ der Dunst sie frei und die junge Frau konnte einen Ausschnitt der funkelnden Felswände erkennen. Aber die meiste Zeit waren sie in den bleichen gespenstischen Nebel eingehüllt. Plötzlich musste Natalie an die Worte des Grafen denken.
»Was meinten Sie damit, als Sie sagten, dass das Fest mir zu Ehren stattfinden würde?«
»Es war Ihr Abschiedsfest«, entgegnete der Graf.
»Abschied? Wovon?«
»Vom Leben.«
»Was meinen Sie damit?«
»Dass Sie sterben werden.«
»Sterben?«
Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Was hatte das zu bedeuten? Befand sie sich in den Händen eines Wahnsinnigen, eines Psychopathen? Dann musste sie so schnell wie möglich aus diesem Boot heraus und ans Ufer schwimmen. Aber wie sollte sie das bewerkstelligen? Die Felswände zu beiden Seiten waren verschwunden. Dort befand sich jetzt nur noch ein formloses Grau, ein Hauch von Ewigkeit und Zeitlosigkeit, was vielleicht sogar beides zutraf.
Der Mann am Ruder schien ihre Gedanken zu erraten. »Eine Flucht ist sinnlos«, sagte er mit tonloser Stimme. »Niemand kann seinem Schicksal entgehen.«
»Was habe ich Ihnen denn
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