Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah
konsterniert mit einer Hand durchs Haar.
»Ich kann nicht weggehen«, sagte er schließlich zu mir. »Fast alles auf der Welt täte ich für dich, aber das nicht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es war. Du glaubst, die Unsterblichkeit sei grausam mit dir umgesprungen? Stell dir mal vor, wie es ist, immerzu wegzulaufen, stets auf der Hut zu sein. Ich habe fast ebenso viele Schwierigkeiten, mich niederzulassen, wie du. Gott sei gedankt für meine Schwester. Sie ist die Einzige, die ich habe, die einzige Stütze meines Lebens. Die Einzige, die ich je liebte – zumindest, bis du kamst.«
»Sie kann mitkommen …«
Er schloss die Augen. »Georgina, als meine Mutter noch am Leben war – vor Jahrtausenden -, wohnten wir in einem Lager mit einigen anderen Nephilim und deren Müttern. Wir waren stets auf der Flucht, haben stets versucht, unseren Verfolgern zu entkommen. Eines Nachts … ich werde es niemals vergessen. Sie entdeckten uns, und ich schwöre, Armageddon könnte niemals so entsetzlich sein. Ich weiß nicht einmal, wer es getan hatte – Engel, Dämonen oder sonst wer. Ich meine, wenn es dazu kommt, sind sie alle gleich, wirklich. Wunderschön und schrecklich.«
»Ja«, flüsterte ich. »Ich habe sie gesehen.«
»Dann weißt du, zu was sie imstande sind. Sie sind über uns hinweggefegt und haben alle vernichtet. Ohne Unterschied. Nephilim-Kinder. Menschen. Alle wurden als anfällig erachtet.«
»Aber du bist entkommen?«
»Ja. Wir hatten Glück gehabt. Die meisten nicht.« Er wandte sich wieder zu mir um. Angesichts seines Schmerzes brannten mir die Augen. »Verstehst du es jetzt? Verstehst du jetzt, warum ich dies tun muss?«
»Du verlängerst nur weiter das Blutvergießen.«
»Ich weiß, Georgina. Um Gottes willen, ich weiß es. Aber mir bleibt keine andere Wahl.«
Da erkannte ich in seinem Gesicht, dass er es verabscheute, Teil des Blutvergießens zu sein, Teil eben jenes destruktiven Verhaltens, das ihn in seiner Kindheit verfolgt hatte. Aber ich erkannte ebenfalls, dass er unausweichlich daran gefesselt war. Er konnte ihm nicht entrinnen. Er hatte zu lange gelebt, um so vieles länger als ich. Die Jahre der Furcht und des Zorns und Bluts hatten ihn verbogen. Er musste dieses Spiel bis zum Schluss spielen.
Ich kämpfe jeden Tag darum, mich nicht von der Vergangenheit überwältigen zu lassen. Manchmal siege ich, manchmal sie.
»Mir bleibt keine andere Wahl«, wiederholte er, Verzweiflung auf dem Gesicht. »Aber dir schon. Ich möchte immer noch, dass du mitkommst, wenn ich hier fertig bin.«
Eine andere Wahl. Ja, ich hatte eine andere Wahl. Eine Wahl zwischen ihm und Carter. Oder? Gab es etwas in diesem Moment, das ich zur Rettung Carters unternehmen könnte? Wollte ich Carter retten? Carter hätte über die Jahre hinweg im Namen Gottes zahllose Nephilim-Kinder abschlachten können. Vielleicht verdiente er die Strafe, die Roman ihm zugedacht hatte. Was waren Gut und Böse in Wirklichkeit anderes als blöde Kategorien? Blöde Kategorien, die Menschen einengten und bestraften oder belohnten, je nachdem, wie sie auf Grund ihrer eigenen Natur darauf reagiert hatten, einer Natur, die sie wirklich nicht kontrollieren konnten.
Roman hatte Recht. Das System war verdorben. Ich wusste nur nicht, was ich dagegen tun sollte.
Was ich brauchte, war Zeit. Zeit, dies alles zu überdenken, Zeit, mir zu überlegen, wie der Engel und der Nephilim zu retten wären, wenn so etwas möglich war. Ich wusste jedoch nicht, wie ich mir diese Zeit verschaffen könnte, nicht, wenn Roman dort stand und mich anstarrte, entflammt von seiner romantischen Idee, gemeinsam zu fliehen.
Zeit. Ich brauchte Zeit und hatte keine Ahnung, woher ich sie nehmen sollte. Ich besaß keine Kräfte, die mir in einer solchen Situation hilfreich gewesen wären. Wenn Roman zum Schluss kam, dass ich eine Bedrohung darstellte, könnte ich mich nicht gegen ihn wehren. Ein Nephilim könnte leicht einem von euch das Lebenslicht auspusten. Ich konnte nicht an göttlichen Strippen ziehen wie Hugh, besaß keine übermenschlichen Reflexe und Kräfte wie Cody und Peter. Ich war ein Sukkubus. Ich wechselte die Gestalt und hatte Sex mit Männern. Das war’s.
Das war’s …
Kapitel 24
»Nun?«, fragte Roman leise. »Was meinst du? Wirst du mit mir gehen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte ich und schlug die Augen nieder. »Ich habe Angst.« Ein Beben lag in diesen Worten.
Offensichtlich besorgt drehte er mein Gesicht zu sich. »Angst
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