Such mich Thriller
Als sie nicht mal mit einem Nicken reagierte, trat er näher an den Wagen heran. »Sie können von Glück sagen, dass ich überhaupt noch was habe, die verdammten Touristen haben mich gestern fast leergekauft.«
Der Junge ging um das Cabrio herum und musterte es mit liebevollen Blicken, machte dabei aber einen großen Bogen um Mallory. Er spürte, dass es ihm nicht gut bekommen würde, dem Wagen zu nah zu kommen oder ihn etwa anzufassen. Schließlich blieb er in einiger Entfernung stehen. »Sind Sie hinter jemandem her?«
Es gehörte einiges dazu, Mallory zu verblüffen, aber der Junge hatte es geschafft.
Ermutigt kam er einen Schritt näher. »Können Sie uns ein Bild zeigen?«
Als sie immer noch nicht antwortete, hielt er sie für eine Ausländerin und beschrieb mit den Händen ein Rechteck in der Luft.
»Was?«
»Ein Bild«, wiederholte der Alte frustriert, nachdem der Junge seinen Vorrat an Worten und Zeichen aufgebraucht hatte, und deutete mit dem Daumen auf das Feld hinter seiner Tankstelle. »Die Leute, die letzte Nacht hier kampiert haben, hatten alle jede Menge Bilder dabei. Fotos.«
Mallory hängte den Tankschlauch wieder an die Zapfsäule und ging um die Baracke herum. Es mussten sehr ordnungsliebende Camper gewesen sein. Weit und breit waren keine Abfälle zu sehen, nur die verkohlten Kreise von Lagerfeuern und die Reifenspuren vieler Fahrzeuge. Als sie zu der Zapfsäule zurückkam, brabbelte der Alte immer noch vor sich hin.
»Als ob ich mir jeden Kunden hätte merken können, der in den letzten zwanzig Jahren bei mir getankt hat.« Er legte dem Jungen kurz eine Hand auf die Schulter. »Sogar meinem Enkel mussten sie ihren ganzen Kram zeigen - Poster und Aushänge und winzige Fotos in Medaillons.«
»Schienen alles Kinder zu sein.« Der Junge schob sich näher an Mallory heran. »Wenn Sie ein Bild haben …«
»Nein.« Sie hatte keine Fotos, nur Briefe. Und an einen VW, der hier noch vor ihrer Geburt vorbeigekommen war, würde der Alte sich kaum erinnern, auch wenn der Fahrer etwas ganz und gar Unverwechselbares an sich hatte.
Der Alte brummte, weil er Mallory auf einen großen Schein herausgeben musste. Im Rückspiegel sah sie, wie der Junge ihr nachlief und mit beiden Händen winkte. »Hoffentlich finden Sie ihn!«, hörte sie ihn rufen.
Woher wusste dieses Kind, in welcher Mission sie unterwegs war? Sie hieb mit der Faust aufs Armaturenbrett.
Der Schmerz erdete sie.
Mallory warf einen Blick auf den Rucksack, in dem die Briefe steckten. Mit ihrer Hilfe würde sie den kommenden Tag hinter sich bringen können. Weiter in die Zukunft konnte sie nicht sehen.
Der Verkehr auf der Route 80 wurde langsam dichter, im Staat Indiana begann die Rushhour. Bis Chicago waren es noch
Stunden. Doch Riker hatte es nicht eilig. Er verzichtete auf den Einsatz der Sirene auf dem Dach, die ihm heulend die Spur freigemacht hätte. Inzwischen brauchte er keinen LoJack-Tracker mehr, um zu wissen, welche Richtung Mallory eingeschlagen hatte.
Die ausgefeilteste Technik der Welt konnte ihm nicht verraten, wohin sie fahren würde, er aber war jetzt im Bilde. Er kannte ihre Route, kannte alle Städte, durch die sie kommen würde. Er hatte reichlich Zeit, sie einzuholen, denn sie reiste auf einer sehr alten Straße, die einen langen Atem hatte und die in seiner Erinnerung noch sehr lebendig war.
Südlich von Wagoner, Illinois, wäre sie ohne die Lichter an der Queen glatt vorbeigefahren. Sie wusste inzwischen, dass der Verfasser der Briefe Herausragendes wie den Riesen aus Fiberglas liebte, und stellte deshalb einigermaßen überrascht fest, dass die weiße Marmorfigur höchstens lebensgroß war. Mallory parkte auf einer kleinen betonierten Fläche vor dem Schrein der Jungfrau Maria, die man auch Königin der Straße und Unsere Liebe Frau von den Highways nannte. In dem nahegelegenen Farmhaus regte sich nichts.
Der Sinn dieser Fahrt von einer Kuriosität zur nächsten hatte sich ihr immer noch nicht erschlossen. Vielleicht maß sie dem Sightseeing zu viel Bedeutung bei. Dafür sprach, dass der Briefeschreiber nichts vom Fotografieren hielt. »Halte dich nicht damit auf, dir die schalen Minuten einer Zeit anzuschauen, die längst hinter dir liegt. Das Leben posiert nicht für Fotos.« Illinois aber war und blieb flach, und auch diese Figur bot kaum Abwechslung. Schon wieder eine Enttäuschung! Sie kehrte zu ihrem Wagen zurück.
Hinter ihr ging die Sonne auf, und sie spielte die dafür empfohlene Musik, das
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