Such mich Thriller
war. Joe Finn musste begreifen, dass sie sich von Zivilisten nicht herumkommandieren ließ. Diese Lektion hatte sie von Markowitz gelernt. »Besser, mal eine persönliche Schlappe hinzunehmen, als den Job zu verleugnen.« Erst jetzt ging sie langsam weiter.
Charles Butler hielt Ausschau nach Hinweisschildern zum Tanken und Übernachten. »Den Gedanken, dass sie nur mal Urlaub brauchte, können wir also definitiv ausschließen?«
»Ja, eine Vergnügungsfahrt in den Frühling - so was ist bei ihr nicht drin. Sie ist allein auf der Pirsch, und sie geht daran kaputt.« Er nannte Charles das erste Warnsignal - »Eines Tages ist sie zu spät zum Dienst erschienen.«
Und das war der Beginn ihres langsamen Abschieds. Immer wieder war sie zu spät oder überhaupt nicht gekommen, dann hatte sie nicht mehr auf Anrufe, Emails und Klopfen an der Wohnungstür reagiert. Ihr Chef, Lieutenant Coffey, hatte darin Anzeichen für ein Burnout gesehen, und die Kollegen nannten sie nun nicht mehr Mallory die Maschine, denn dieses
Verhalten war etwas Menschliches, Nachvollziehbares: Fehlzeiten und Ausfallzeiten, schlaflose Nächte mit Schüttelfrost und bedrückenden Gedanken, die sich nur durch Alkohol oder Pillen vertreiben ließen oder durch eine Pistolenmündung, die die Schädeldecke sprengte - eine schnelle, endgültige Lösung. Cops, die keinen Ausweg mehr wussten, wurden nicht unter Druck gesetzt, man beobachtete sie fürsorglich, und bei Mallory hatte Riker diese Aufgabe übernommen - vor ihrem Haus, auf dem Gehsteig. Es war eine lange Tradition, dass die Kollegen für die »ausgebrannten« Cops die Karten bei Dienstantritt und Dienstschluss mitstempelten, damit ihnen nicht noch gekürzte Gehaltsschecks das Leben schwer machten. Manche kamen zurück in den Dienst. Manche starben.
»Fahr hier ab«, sagte Riker. Auf der Überführung versprach er sich gute Sicht. Während der Mercedes die Ausfahrt hochrollte, zündete er sich eine Zigarette an und ließ das Fenster herunter. »Weißt du, was die meisten Leute besonders verrückt macht?« Und dann musste er grinsen. Den Mann am Steuer brauchte er so was eigentlich nicht zu fragen, der Psychologe Charles Butler beschäftigte sich von Berufs wegen mit Verrücktheiten jeder Art, aber als wahrer Gentleman schenkte er sich jeden Kommentar.
»Ungerechtigkeiten.« Riker schnippte das abgebrannte Streichholz aus dem Fenster. »Nimm nur mal Mallory.« Mit zusammengekniffenen Augen blickte er in die Dunkelheit, als könnte er dort das kleine Mädchen sehen, das sich Kleingeld von Huren erbettelt und Essbares aus dem Müll geklaubt hatte. »Ich glaube, dass sie in einer Mission unterwegs ist. Dass sie eines Tages all das addiert hat, um was sie betrogen wurde, was man ihr gestohlen, was sie verloren hat. Das sind die Sachen, an denen ein Mensch verzweifeln kann. Stell dir vor, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie ihre Mutter hätte behalten dürfen.
Allerdings glaube ich nicht, dass sie mit diesem anderen Leben besser gefahren wäre.«
»Wie kannst du so was sagen?« Charles bog scharf rechts ab. »Wäre ihre Mutter nicht gestorben, wäre sie nicht obdachlos geworden.«
»Sie ist eine geborene Überlebenskünstlerin. Aber mal angenommen, du hättest recht. In einem anderen Leben hätte sie alle Vorteile gehabt - Vater und Mutter, einen Hund und eine Schaukel im Garten. Glaubst du wirklich, sie hätte sich anders entwickelt? Ich nicht. Lou und Helen haben sie testen lassen, als sie zu ihnen kam.«
»Ja, das hat Louis mir erzählt.« Charles hielt an einer Tankstelle und stellte den Motor ab. »Mathematik lag ihr besonders.«
»Ja, auf dem Gebiet war sie ein richtiges Wunderkind.« Riker stieg aus, um den Sprit zu zahlen, aber Charles hatte schon seine Kreditkarte in den Schlitz gesteckt. »Dass sie ein Computergenie werden würde, stand also von Anfang an fest. Und auch, dass sie verdammt hübsch war. Auf der Straße hätten alle Männer sie lange angegafft - und wären dann weitergegangen. Du weißt, warum!«
Charles sah auf die zappelnden Zahlen an der Zapfsäule. Er nickte. Wie viele Männer konnten sich bei ihr eine Chance ausrechnen? Dieses unvergleichliche Gesicht war eindeutig ein Handicap, in einem normalen Leben wäre sie ebenso unnahbar gewesen wie jetzt.
Riker lächelte dem Mann mit den Glubschaugen und der Hakennase zu, der Kathy Mallory liebte. »Glaubst du wirklich, sie wäre menschlicher gewesen, Charles? Ein Mädchen, das sich gern im Spiegel ansieht? Vielleicht
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