Suche nicht die Suende
nachzudenken.«
»Gwen.« Nun sprach er langsam und mitfühlend. »Dies ist Gottes ureigenste Wahrheit: Ich werde nach dir vom Altar wegtreten.«
»Ich denke, das werden wir herausfinden.« Sie setzte sich ihre Maske wieder auf und ging davon.
Dieses Mal versuchte er nicht, sie zurückzuhalten.
16
Als Alex am folgenden Morgen in der Bibliothek seines Bruders wartete, hoffte er fast, dass Gwen nicht kommen würde. Er hoffte es ebenso sehr um seinet- wie um ihretwillen, jedoch nicht aus dem Grund, weil er ein schlechter Ehemann für sie sein würde. Würde sie ihm die Chance geben, er würde sie heftiger und beständiger – und auch kreativer – lieben als einer dieser rückgratlosen Bastarde, die je mit ihr in einem stickigen Ballsaal getanzt oder sie auf der Straße angesehen hatten. Und er hoffte es nicht um seinetwillen, weil er diesen Entschluss etwa bereute. Er sah sich selbst jetzt zu klar, um noch zu glauben, dass Flucht Freiheit bedeutete. Oder dass irgendeine Stadt auf der Welt je wieder seine Begeisterung wecken würde, ohne dass er sie auch durch ein anderes Augenpaar sah – durch
ihre
Augen.
Während er also wartete, saßen seine Schwestern mit ihren Männern in der Bibliothek und unterhielten sich mit Lady Weston, während ihre kleinen Töchter herumhüpften und spielten. Gerard sprach mit tiefer, gebieterisch klingender Stimme auf den eingeschüchtert wirkenden Geistlichen ein. Wenn Gwen jetzt käme, wohl wissend, was sie tat, und mit dem Wissen um diese eine Sache, die er vor ihr verborgen gehalten hatte (denn warum hätte sie es denn jetzt noch wissen müssen? Sie hatte Trent doch nicht geliebt; sie hätte ihn nicht geheiratet, wenn sie es gewusst hätte; es war kein Schaden angerichtet worden; das Geheimnis war alt und abgelaufen und inzwischen so harmlos wie Schießpulver, das auf den Meeresgrund versenkt worden war, um dort zu verrotten; und außerdem war er ein verdammter selbstherrlicher Idiot) –, wenn sie also jetzt gleich käme, obwohl sie wusste, was er vor ihr geheim gehalten hatte, dann kam sie, um einen Mann zu heiraten, der sie nicht verdiente. Und doch wollte er sie nur, wenn sie ihren eigenen Wert kannte und Alex ihrer für würdig hielt.
Er war ein unredlicher Bastard, und wenn er noch einen Rest von Ehre in sich hatte, dann würde er ihr sagen, dass sie ihn zum Teufel schicken sollte. Wenn er auch nur noch einen Funken Selbsterhaltungstrieb in sich spürte, würde er es selbst tun, weil er nicht glaubte, dass ihre Verbindung gelingen könnte, wenn Gwen sie auf diese Weise einging. Er würde sie mit aller Intensität lieben – aber er kannte sich gut genug, um seine Fehler zu kennen. Ungeduldig und voreingenommen und stur und oft zu vorschnell in seinem Handeln: Er würde versuchen, sie nie zu unterdrücken, sie nie zu beherrschen oder ihren Willen zu beugen. Aber falls es ihr nicht gelang, nur das Beste aus ihm herauszuholen, würde es geschehen. Es könnte geschehen. Möglicherweise.
Ein guter Mann hätte einen Weg gefunden, sie zur Seite zu nehmen und ihr diese Dinge zu sagen. Sie zu warnen.
Die Tür wurde geöffnet. Elma und Harry Beecham kamen herein, Gwen zwischen sich. Sie trug ein schlichtes Vormittagskleid und um die Schultern einen weißen Pashmina mit Fransen; in der Linken hielt sie einen kleinen Strauß rosafarbener Rosen. Sie begegnete seinem Blick, während der Pfarrer hinter die provisorische Kanzel trat – ein Rednerpult, das Gerard aus seinem Club entwendet hatte. Die Zwillinge sprangen auf und sammelten ihre Töchter ein; ihre Ehemänner blieben sitzen und sahen ein wenig verwirrt aus, vielleicht weil sie sich fragten, warum solch eine Zeremonie in jemandes gottverdammter Bibliothek stattfinden musste. Alex stand bereits auf seinem Platz. Er hatte schon seit einer ganzen Weile dort gestanden, weil er nicht hatte riskieren wollen, dass Gwen bei ihrem Eintreten als Erstes den leeren Altar sah.
»Stichwort Hochzeitsmusik«, rief Caroline fröhlich, als Elma Gwen losließ. Harry Beecham, den silbrigen Schnauzbart zu etwas verziehend, was ebenso gut ein Lächeln wie eine Grimasse hätte sein können, straffte die Schultern und führte Gwen die wenigen Schritte an Alex’ Seite.
Alex konnte den Ausdruck in ihren dunkelbraunen Augen nicht lesen. Oder vielleicht las er auch das Falsche darin, denn nach seinem Eindruck starrte sie ihn so kriegerisch gestimmt an wie ein Gegner in der
salle des armes
. Er nahm ihre Hand, und ihre Finger schienen jetzt zu
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