Suche nicht die Suende
verlangt hat. Dazu hat sie eine ganz fürchterliche Szene gemacht. Es war eine ausgesprochene Ungezogenheit!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Elma gesagt, dass ich nicht noch einmal dorthin gehen werde. Und ich meine es auch so, obwohl sie versuchen wird, mich zu überreden.«
Er lachte. »Deswegen war sie weniger besorgt. Vielmehr ging es ihr um deine Weigerung, sie bei ihren Besuchen zu begleiten.«
»Ich dachte, sie wollte ihren Mittagsschlaf halten.«
»Hat sie auch, aber dann hat sie sich dazu herabgelassen, für einen Moment eine der Gurkenscheiben anzuheben.«
Gwen seufzte und griff nach ihrem Weinglas. Ein Schluck, um Mut zu fassen, vielleicht. »Elma hat hundert Freunde hier und wünscht, sie alle zu besuchen. Sie hat eine Liste gemacht, und die ist drei Seiten lang, sortiert nach den Orten: Heute arbeitet sie sich durch den Faubourg Saint-Germain. Morgen sind die Rue de Varenne und die Rue de Grenell an der Reihe. Zwölf, fünfzehn Familien jeweils.« Während Gwen den Wein trank, tat sie ihr Bestes, keine Grimasse zu schneiden; die Wärme der Sonne ließ den Burgunder säuerlich schmecken. »Auf jeden Fall erachte ich es als einen Gefallen, sie die Besuche allein machen zu lassen. Jeder wird den neuesten Klatsch aus London hören wollen, und da
ich
der Klatsch bin, kann sie ihn ja kaum zum Besten geben, wenn ich neben ihr sitze.«
»Das ist sehr großzügig von dir«, sagte er trocken. »Wohin willst du dann gehen?«
Sie versuchte erneut, nur mit einer Schulter zu zucken – so wie er. Doch alles, was sie zustande brachte, war ein Krampf im Nacken. »An all die Orte, an denen man einen Engländer in Paris antreffen kann.«
Der Kellner kehrte mit einem schlanken hohen Glas Bier zurück. Sie wollte auch eines probieren – und war längst damit durch, ihre Wünsche zu unterdrücken. Deshalb sagte sie zu dem Jungen: »Une canette, s’il vous plaît.«
»Das wäre eine größere Größe«, klärte Alex sie auf.
»Das weiß ich«, sagte sie. »Deshalb habe ich es ja bestellt. Nur ein Bruder würde darauf hinweisen«, fügte sie hinzu.
»Ein Bruder würde dich auch zurück ins Hotel tragen, wenn du ohnmächtig wirst, aber du kannst dich darauf verlassen: Diese Mühe werde ich mir nicht machen.«
Sie lächelte. Alex war der einzige Mann, den sie kannte, der es immer darauf
anzulegen
schien, dass man rüde reagierte. Bisher hatte sie das an ihm immer gestört; die Verpflichtung, seine Provokationen zu ignorieren, hatte bei ihr gelegen. Aber jetzt konnte sie zum ersten Mal mit gleicher Leichtigkeit antworten, und die Wirkung war seltsam berauschend, sogar noch berauschender als der Wein. »Ich habe einen harten Schädel, musst du wissen.«
»Ja, wie ich höre, hast du einmal zwei ganze Gläser von dem Zeug getrunken.«
»Und
ich
habe gehört, dass Sarkasmus kein Ersatz für Klugheit ist.«
»Und – hast du auch das Folgende schon gehört? Entführte Erbinnen sind nicht gerade der Stoff für Romane.«
»Entführt?« Sie musste lachen. »Wäre das nicht eine unglaubliche Ironie! Von zwei Männern sitzen gelassen und von einem dritten entführt!«
Alex schwieg. »Du solltest nicht allein ausgehen«, sagte er in verändertem, jetzt ernstem Ton. »Das wollte ich damit sagen. Die Welt ist nicht so gut, wie sie in Mayfair aussieht.«
»Sieht sie denn so gut aus in Mayfair?«, fragte sie höflich zurück. »Vielleicht hatte ich in der letzten Woche eine eher schlechte Meinung darüber, als ich da so allein vor dem Altar stand.«
»Ich spreche nicht von verletzten Gefühlen«, sagte er ruhig. »Solche Dinge geschehen. Du musst nur an deinen Bruder denken, um das zu wissen.«
Verwirrt sah sie ihn an. Er erwiderte ihren Blick, aber seine äußere Regungslosigkeit verriet doch das Wissen um die Bedeutung dieses Augenblicks: Noch nie zuvor hatten sie über Richards Tod gesprochen. Alle Details darüber wusste Gwen von den Zwillingen.
Doch sie wollte wieder zurück zur Oberflächlichkeit, zu der Stimmung, die bis eben noch zwischen ihnen geherrscht hatte. Und hörte sich dennoch sagen: »Ich vermisse ihn.«
»Ja«, sagte er nach einiger Zeit. »Ich auch.«
Die Schlichtheit seiner Antwort drückte Gwens Lebensgeister noch weiter zu Boden. Auch ihm hatte Richard viel bedeutet.
Es war Alex gewesen, der ihr damals den Ring zurückgebracht hatte.
An jenem Tag war sie ihm so unendlich dankbar dafür gewesen. Selbst inmitten all der anderen verrückten, traurig machenden Gedanken, die ihr durch den Kopf
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