Suche nicht die Suende
Warum machte sie sich die Mühe, ihn darüber in Kenntnis zu setzen? Wollte sie, dass er den Bruder spielte und ihr verbot mitzugehen? Sie musste sich wirklich entscheiden, was sie wollte.
»Ich erwäge, seine Einladung anzunehmen«, fügte sie hinzu.
»Wie klug von dir«, sagte er höflich.
Ihr Kinn spannte sich an. »Niemand sonst hat es angeboten.«
»Wie schade. Wolltest du denn, dass jemand es anbietet? Vielleicht solltest du in der Lobby ein Schild hochhalten, um deinen Wunsch anzuzeigen.«
Ihr Seufzer klang ungeduldig. »
Du
hast es jedenfalls nicht angeboten.«
»Ich weiß mit meiner Zeit Besseres anzufangen, als Debütantinnen herumzuführen. Falls du jedoch den Mut aufbringst, mich darum zu bitten, könnte ich es eigentlich tun. Ich denke, es würde amüsant sein zu sehen, wie deine Augen so groß wie Untertassen werden.« In der Tat würde ihr eine solche Erfahrung von Nutzen sein können, wenn es dazu kam, sich einen neuen Bräutigam zu suchen. Ein bisschen weniger Naivität, und sie würde nicht mehr ganz so blind in die nächste Verlobung stolpern.
Ihre Augen wurden nicht groß. Sie wurden schmal. »Ich bin nicht sicher, ob ich mir deine Begleitung wünsche.«
»Dann
viva l’Italia
«, sagte er und nahm einen großen Schluck von seinem Wein. Natürlich war es ausgeschlossen, dass Elma sie mit dem Italiener von dannen ziehen ließe, und Gwen wusste das sehr gut.
»Aber wenn du mich ausführen würdest, wäre ich für ein bisschen Spaß dankbar.«
Er nickte und stellte sein Glas ab, dann schaute er sich im Speisesaal um, warf einen Blick auf diese Ansammlung europäischen Gesindels, das zu viel Geld hatte und hier saß und bis zum Stumpfsinn aß und trank. »Dies ist nicht der richtige Ort, um anzufangen«, sagte er. »Wir werden ins
Pigalle
gehen, einverstanden?«
Ihr Lächeln traf ihn unvorbereitet. Es löste etwas Seltsames und Süßes in seiner Brust aus. »Brillant! Ins Pigalle. Aber –« Sie beugte sich vor, um ihm etwas zuzuflüstern, und er nahm den Duft wahr, der von ihrer warmen Haut ausging – worauf er sofort hart wurde. »Lass uns Elma aber sagen, dass wir noch ein wenig spazieren gehen.«
Gwen nahm Alex’ Arm, stieg aus der Kutsche und geriet in eine ungeheure Höhle – Schreie, aufeinanderstoßend mit Pfiffen, scheppernde Glocken, Fetzen von übermütiger Musik, trunken im Chor gesungene Lieder. Ein Mädchen in Hosen lief vorbei, fügte sich zwischen zwei Gentlemen ein, jeden am Ellbogen festhaltend und dann kreischend vor Lachen, als die beiden sie hochhoben. Die Luft roch nach Tabakrauch und den gerösteten Kastanien von den Kohlepfannen der Straßenverkäufer. Ein zartlila Blütenblatt schwebte vorbei, schimmernd wie eine Rose im fahlen Licht.
»Die falsche Richtung.« Alex berührte Gwen am Ellbogen, damit sie sich umwandte.
Ihr stand der Mund offen.
Über ihr thronte die Windmühle des Moulin Rouge, mit dem roten Dach und den elektrisch angetriebenen Flügeln, die sich vor einem Hintergrund aus tief hängenden rötlichen Wolken langsam drehten. Rote Glühbirnen blitzten an den Rändern der Flügel auf und blinkten in langen Ketten an den Fenstern und Türen entlang. Das Licht der Lampen warf einen karmesinroten Schein über die Menschen, die darunter entlanggingen, es pulsierte über die weißen Jacken und Gamaschen junger Männer, glitzerte auf den Stolen und dem Perlen- und Federschmuck der Frauen, die am Eingang standen.
»Grundgütiger Himmel«, sagte Gwen. Sie fühlte sich so lebendig und voller Energie wie diese Lichter.
»Gwen. Könntest du nicht einen weniger frommen Ausruf wählen?«
Sie sah ihn von der Seite an. »Sterne?«
Er lachte. »Hoffnungslos. Vorwärts, jetzt.« Er bot ihr seinen Arm an.
Seltsam, dass sie einen Moment der Scheu empfand, als sie ihn ergriff. Sie schaute verstohlen auf Alex’ Profil, als er sie weiterführte. Die Zwillinge beharrten immer darauf, dass er keinen Bart trug; sie bewunderten sein Kinn so sehr, und Gwen vermutete, dass sie sich da nicht irrten. Es hatte eckige Kanten und gab den richtigen Rahmen für seinen breiten, lebhaften, sehr sinnlichen Mund. Aber es war nicht sein Aussehen, das jetzt ihr Interesse fesselte. Er hatte zugestimmt, sie hierherzubringen, obwohl er selbst es offensichtlich gar nicht gewollt hatte – und vielleicht reizte sie auch, dass seine Hand beim Essen ihre berührt hatte. Das schien dieses Fieber in ihr ausgelöst zu haben. Jedes Mal, wenn sie ihn jetzt ansah, durchströmte sie ein heißes,
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