Suche nicht die Suende
Antwort und klingelte nach Michaels, um den Brief überbringen zu lassen. Doch nachdem sich die Tür erneut geschlossen hatte, wurde ihr bewusst, dass es ein Haar in der Suppe gab: Elma.
Elma würde es ihr verbieten. Genau genommen hatte Gwen überhaupt keinen Zweifel daran, dass Elma sich in genau diesem Moment über sie beklagte. Lady Lytton, die Frau des englischen Botschafters, war eine besondere Freundin der Beechams, und Elma war mit ihr im Palais-Royal zum Lunch verabredet.
Für Gwen habe ich den weiten Weg nach Paris auf mich genommen,
würde sich Elma beklagen, während sie ihre Austern schlürfte,
und jetzt lehnt sie es ab, mich bei meinen Besuchen zu begleiten. Genau genommen hat sie sich heute Morgen sogar geweigert, das Bett zu verlassen.
Lady Lytton wäre darüber nicht überrascht. Sie würde nur verständnisvoll nicken und Elma die Hand tätscheln. Natürlich konnte niemand etwas anderes von einem Mädchen erwarten, das sitzen gelassen und gedemütigt worden war – und das jetzt bereits zum zweiten Mal.
Obwohl sich Gwen gar nicht gedemütigt fühlte. Zum ersten Mal seit – wie es ihr vorkam – ewigen Zeiten fühlte sie sich wunderbar … stark.
Deine Hilfe wäre nützlich
, hatte Alex geschrieben.
Mit einem Lachen sprang Gwen ins Bett zurück und streckte alle viere von sich. Als Kind hatte sie in Oxford ein Museum besucht, in dem das getrocknete Exemplar eines Seesterns ausgestellt worden war. Wurde eines der Glieder abgetrennt, so hatte der Kurator erklärt, würde über Nacht ein neues nachwachsen. Etwas Ähnliches widerfuhr jetzt vielleicht auch ihr. Sie fühlte sich fröhlicher als selbst noch zu der Zeit, bevor sie sitzen gelassen worden war.
Aus einem Impuls streckte sie die Beine in die Luft. Das Nachthemd rutschte ihre Oberschenkel hinauf. Kritisch betrachtete sie ihre nackten Beine; die Cancan-Tänzerinnen im
Moulin Rouge
hatten ihr die Möglichkeit zum Vergleich gegeben. Schmale Fesseln und wohlgeformte Waden. Sie bevorzugte die schlanken Knie, die sie gestern Nacht gesehen hatte; dagegen sahen ihre eigenen schrecklich knubbelig aus. Aber die Beine konnte sie so gut werfen wie jede andere. Sie streckte die Zehen und versetzte einem imaginären Thomas Arundell Pennington einen Tritt. Und fühlte sich gewappneter denn je, es ihm einmal heimzuzahlen. Schließlich war Lily Goodrick die Queen von Barbary Coast. Von keinem Mann ließ sie sich mehr etwas vormachen, am wenigsten von einer rückgratlosen Kröte.
Vielleicht würde sie ihn ja heute finden.
Wenn dieser Absicht nicht die Tatsache entgegengestanden hätte, dass Thomas Paris bereits verlassen hatte. Und ergo nicht mehr für das zur Verfügung stand, was Gwen sich den ganzen Nachmittag über ausgemalt hatte. Als sie diese Neuigkeit erfuhr, hätte sie fast die Teekanne fallen lassen. »Bist du sicher?«, fragte sie. Wie um alles in der Welt hatte er so unbemerkt kommen und wieder gehen können?
»Absolut sicher«, entgegnete Elma. Sie saß Gwen im Wohnzimmer gegenüber und vibrierte fast vor guter Laune. »Ich habe es von Lady Lytton persönlich erfahren. Er ist ihr Cousin zweiten Grades seitens ihrer Urgroßeltern, und er besucht sie immer, bevor er die Stadt verlässt. Vermutlich benimmt er sich ihr gegenüber so, wie er es auch seiner Mutter gegenüber tun würde, wäre sie nicht solch ein Drachen.« Elma zuckte elegant die Schultern. »Er ist dir knapp durch die Lappen gegangen, meine Liebe.«
»Aber wohin ist er denn gereist?«, fragte Gwen. Dies war mehr als niederschmetternd.
»Nach Baden-Baden«, sagte Lady Lytton, »um dann weiter nach Korfu zu fahren.«
Gwen nickte. Sie war jetzt gründlich verwirrt, hatte Elma doch vorgeschlagen, einen Tee
zur Feier des Tages
zu trinken. War dies die Neuigkeit, die sie hatte feiern wollen? Wenn ja, dann konnte Gwen nicht anders, als es für ein wenig gemein zu halten. Elma wusste schließlich, dass sie hergekommen war, um den Ring zurückzuholen. Thomas’ Abwesenheit war kein Grund zu frohlocken.
»Keine Angst«, sagte Elma, die den Zweifel auf Gwens Gesicht sah. »Ich habe noch Neuigkeiten, die dir besser gefallen werden. Aber zunächst lass uns unsere Gläser erheben.«
Argwöhnisch hob Gwen ihre hauchdünne Porzellantasse – entsprechend Elmas Vorliebe enthielt sie Sahne mit einem Spritzer Tee. Immerhin war es möglich, dass Elma nicht auf den Tod irgendeiner Countess in deren Hochzeitsnacht trinken wollte, oder auf das plötzliche Ableben eines Erben, der die
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