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öffnete, damit die Wassertropfen auf den Stoff tropften und sich so das Gas bildete. In den tiefen Taschen seines Anoraks hatte er mehrere Streichholzschachteln. Bald fauchte und zischte die kleine Flamme, und der Reflektor warf ein hartes, bleiches Licht in den Schachtgang.
Er zog sich um, schnell schlüpfte er in die Bergarbeiterkluft, auch wenn sie altmodisch und abgetragen war. Den Selbstretter hatte er an dem Ledergürtel befestigt, den er schon viele Jahre trug. Die Kopfleuchte saß am Helm, aber er hatte sie nicht eingeschaltet, um Batterien zu sparen. Früher war der Helm einmal weiß gewesen, inzwischen hatte er im Laufe der Jahre reichlich Flecken und Kratzer bekommen. Eigentlich war es an der Zeit, sich nach einem neuen umzusehen. Doch ihm gefiel die alte Ausrüstung am besten. Er konnte sich zurückversetzen in bessere Zeiten, als er mit seinen Kumpels in Schacht 2 den Rekord in Kohleabbau gebrochen hatte und Lob und Anerkennung sogar vom Direktor selbst erhalten hatte. Damals hatte er an dem großen Tisch im Huset seinen festen Platz gehabt und mit dem Vormann nach überstandener Schicht sein Bier getrunken. Er seufzte. So war es heute nicht mehr.
Er holte tief Luft und machte sich mit langsamen, schlurfenden Schritten und gebeugtem Rücken auf den Weg in den Berg hinein. Das war seine Welt, dieses Labyrinth aus Dunkelheit und Schatten. Hier hinein wagte sich sonst keiner. Er selbst dagegen kannte jede Ecke, jeden losen Steinbrocken über dem Kopf, jedes leise Knacken des Bergs, der über ihm drückte und drohte. Hier war er zu Hause. Und allein.
Heute wollte er endlich eine Passage von dem alten Schacht hinüber zu den tiefsten Strecken in Schacht 7 finden. Er hatte sich bereits seit langem mit allen Querschlägen und Strecken hinter Strosse 12 und 13 vertraut gemacht, dort, wo die moderne riesige Abräummaschine arbeitete und sich in die Flöze hineinfraß. Aber es war ihm bisher nicht gelungen, einen Weg hinaus ins Tageslicht auf der anderen Seite zu finden, durch das alte Mundloch. Heute wollte er aber keine Ruhe geben, bis er es geschafft hätte. Dieses Mal wollte er in dem alten Schacht anfangen.
Die Zeit verging langsam im Berg. Er hatte keine Uhr, deshalb konnte er nicht sagen, ob es schon Abend geworden war. Er lag auf dem Bauch, die Wange auf Kies und Kohlestückchen ruhend. Der Atem ging schwer durch die Maske, die er aufgesetzt hatte, als er zum Bergrutsch gekommen war. Es war schwer, die Luft durch den festen Stoff einzuatmen. Im Gürtel hing ein Selbstretter, den er in der Waschkaue von Schacht 7 gestohlen hatte. Oder lag es am Kohlenmonoxid, dass er sich so müde fühlte? Vielleicht war es doch an der Zeit, den Selbstretter einzusetzen? Vielleicht war er aber auch nur erschöpft davon, sich durch Strecken gezwängt zu haben, die so niedrig waren, dass er kaum den Kopf hatte heben können, ohne mit dem Helm an den First zu stoßen. Er schob die Lampe vor sich her und kroch ein paar Meter weiter.
Er musste eingeschlafen gewesen sein, denn als er aufwachte, war es so schwarz um ihn herum, dass er für einen Moment nicht ausmachen konnte, ob er die Augen geöffnet hatte oder nicht. Vielleicht schlief er ja, und es war nur ein Traum. Vielleicht war er ein junger Mann, ein erfahrener und geschätzter Knappe in Schacht 3 auf Spitzbergen, beliebt bei den Kumpeln und den Chefs von Store Norske. Er bewegte sich nicht, dachte über den Traum nach. Er konnte deutlich fühlen, dass er alt geworden war, dass er vor vielen Jahren bei einem Brand und Bergrutsch fast umgekommen war, dass er verletzt und verkrüppelt war, vernarbt und hässlich. Und es war ihm klar, dass er ein sonderbarer Einzelgänger geworden war, der sich in den verlassenen Schachtstrecken herumtrieb und den Leuten hinterherspionierte. In dieser kompakten Finsternis war es schwer zu sagen, was Traum und was Wirklichkeit war.
Er legte den Kopf wieder auf Steine und Kohlengrus und genoss den Traum, wieder zurück im Bett in dem Zweimann-Zimmer in Baracke 107 zu sein. Wenn er sich anstrengte, würde er sicher das Schnarchen des Kumpels in dem anderen Bett hören. Doch dann fiel ihm abrupt ein, dass dieser Kumpel seit vielen Jahren tief unten in einer verlassenen Strosse in Schacht 3 lag, mit mehreren Tonnen Fels über sich. Er lag regungslos da und trauerte. Es war so schön gewesen, jung und stark zu sein – auf der anderen Seite des Bergrutsches.
Die Lampe war erloschen. Er wachte aus seinen Träumen auf, als er durch eine
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