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Titel: Suche: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Kristensen
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denen wohnt niemand mehr.«
    Ein weites Tal breitete sich vor ihnen aus, und da lag der Ort, an dem sie vielleicht für mehrere Jahre leben sollte. Er musterte sie, als sie am Kai vorbeifuhren und sich Longyearbyen rechts von ihnen zeigte. »Ist das nicht schön? Es sieht aus wie ein Diamant, findest du nicht? Mit all den funkelnden Lichtern.« Sie erwiderte nichts darauf, denn ihr erschien die kleine arktische Stadt eher öde und unwirklich. Als läge sie nur wie auf Abruf dort, in der Erwartung, dass eine große Lawine von den Gebirgswänden sie unter sich begraben würde.
    Sie fuhren eine lange Anhöhe hinauf, zwischen zwei Reihen rotgestrichener Häuser hindurch. Er blieb vor dem obersten Haus stehen. Es lag im Dunkel, eine kleine Schneewehe bedeckte die Treppenstufen.
    »Tut mir leid«, sagte er bedauernd. »Ich hätte zumindest die Treppe freischaufeln sollen. Aber ich wohne ja noch unten im Amtsgebäude in einem Zimmer. Solange ich allein war, war es einfacher so. Und die Straßenlaterne ist anscheinend kaputt.« Beide legten den Kopf in den Nacken und schauten die dunkle Lampe an.
    Er brauchte nur wenige Minuten, um die Treppe freizukriegen, trotzdem begann sie in ihrem neuen Daunenmantel bereits vor Kälte zu zittern. Die Koffer standen neben ihr. Sie fühlte sich vollkommen verloren. Aber er lief mit leichten Schritten die Stufen hinauf und schloss die Tür auf. Ein hübscher Bursche in seiner schwarzen Jacke. Wieso fror er nicht? Sie nahm sich einen der Koffer und schleppte ihn zum Treppenabsatz.
    »Nein, warte, lass mich …«
    Und dann waren sie drinnen. Er drückte auf den Lichtschalter. Nichts passierte. »Na so was, ist die Lampe hier auch kaputt?« Sie tasteten sich durch einen dunklen Flur, eine Treppe hinauf, wo die Straßenlaterne auf der anderen Hausseite durch ein Fenster hereinleuchtete und Schatten auf den Treppenstufen zeichnete. Gingen ins Wohnzimmer. Er stellte die Koffer ab. Aber auch hier wollte die Deckenleuchte nicht brennen. Und es war kalt. Kleine Frostwolken traten aus seinem Mund, als er sprach.
    »Frøydis, tut mir wirklich leid. Aber ich muss vergessen haben, Svalbard Samfunnsdrift anzurufen, damit sie den Strom einschalten.« Er lief in die Küche, öffnete die Schranktüren, eine nach der anderen. Und schließlich hatte er Glück, fand ein paar Kerzen, die er auf einen Teller stellte und mit einem Feuerzeug anzündete. »So, das ist besser. Jetzt wird es gemütlich.«
    »Wieso hast du ein Feuerzeug in der Tasche? Hast du angefangen zu rauchen?«
    Er drehte sich um, lächelte sie freundlich, geradezu höflich an. »Weißt du was? Ich werde eben ins Büro fahren und von dort bei Samfunnsdrift anrufen. Die werden innerhalb der nächsten Minuten den Strom einschalten. Bleib du solange hier. Und auf dem Rückweg fahre ich beim Laden vorbei und kaufe etwas zu essen ein.« Schon war er aus der Tür und die Treppe hinunter, noch bevor sie sich hatte fassen und protestieren können.
    Sie ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf einen der Koffer. Es gab keine Möbel hier drinnen. Er wohnte hier nicht. Nach einigen Minuten stand sie auf und ging in der Dunkelheit umher, von einem Zimmer zum anderen. Nirgends gab es Möbel. Alles war kalt und leer. Es beschlich sie das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Dass er sie gar nicht erwartet hatte.
    Das Weihnachtsfest in Longyearbyen war immer herzlich und schloss alle Bewohner und Gäste ein, und auch dieses Jahr war es nicht anders. Der Gottesdienst am Heiligabend war wie immer rührend schön, die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Der Kinderchor sang einigermaßen schön, auch wenn einige der Jüngsten aus dem Kullungen-Kindergarten wie üblich mehr daran interessiert waren, sich gegenseitig Fratzen zu schneiden, als zu singen. Da war ein Kichern und Flüstern zu hören, das manchmal den Gesang zu übertönen drohte.
    Die Leute saßen auf dem Gestühl aus den Siebziger Jahren, das mit grünem, kratzigem Wollstoff bezogen war. Frøydis, die bei den Staatsangestellten und ihren Ehepartnern saß, fand trotz allem, dass der Kinderchor ein seltsames Bild abgab. Die Kinder in ihren besten Festtagskleidern, mit aufgeregten Gesichtern und funkelnden Augen. Und vor ihnen der alte Grubenarbeiter mit dem schiefen Gesicht voller Brandnarben, wie ein großer, dunkler Baumstamm.
    Dieses Jahr hielt sich Per Leikvik an das sorgfältig gewählte Repertoire und sang nur die Psalme, die der Pfarrer ausgesucht hatte. Sein fast unwirklich reiner Tenor

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