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drückten. Was von innen als sichere, zusammenhängende Eisfläche erschienen war, bestand in Wirklichkeit aus kleinen Eisstückchen, die wohl nicht mehr als ein paar Meter Durchmesser aufwiesen. Die Schollen bewegten sich langsam und rieben aneinander.
Schweißtropfen liefen ihm das Rückgrat hinunter. Knut versuchte seinen Schneescooter in der Spur vor ihm zu lenken. Es ging nur unerträglich langsam voran. Aber nach einigen unsicheren Minuten stießen sie zu den drei Gestalten, die dort draußen mitten auf dem Meereseis standen, jeder neben seinem Scooter. Der Größte von ihnen hatte den Helm abgenommen. Es war Hugo Halvorsen, der sechzehn Jahre alte Sohn eines der Chefs von Store Norske. Der Rote-Kreuz-Chef nickte ihm zu, ohne etwas zu sagen. Die beiden Neuankömmlinge blieben auf ihren Fahrzeugen sitzen und musterten die Bären, die sich, unbeirrt vom Lärm der Schneescooter, langsam in den Fjord hinein bewegten.
Knut kannte Hugo Halvorsen von früher, betrachtete aber neugierig die anderen beiden Jugendlichen. Die eine war ein fünfzehn Jahre altes Mädchen, das bereits mehrere Male im Verlaufe des Winters von der Polizei aus den verschiedenen Kneipen Longyearbyens nach Hause gebracht werden musste. Der andere war ein Freund von Hugo, ein blonder, ziemlich klein geratener Junge, der ebenfalls schon Bekanntschaft mit den Polizeibeamten gemacht hatte. Als Knut seinen Blick hob und dem von Hugo begegnete, schaute er in ein ironisches, fast höhnisches Grinsen.
Das Mädchen hatte Knut entdeckt und als Polizisten wiedererkannt. »Wir machen nichts Verbotenes hier«, erklärte sie angriffslustig.
Knut lächelte. »Nun, ich bin mir nicht sicher, ob da alle meine Kollegen zustimmen würden. Ihr wisst ja wohl, dass es nach dem neuen Umweltgesetz verboten ist, Eisbären zu provozieren.«
»Aber wir stehen doch nur hier. Mari hat noch nie Eisbären gesehen, und wir wollten nur …« Der blonde Junge drehte sich mit einem wütenden Blick zu ihm um.
»Das habe ich bemerkt …«, fuhr Knut ruhig fort, » …dass ihr die Bären nicht gejagt habt. So wie ich die Situation sehe, habt ihr euch mustergültig verhalten. Ihr habt angehalten, damit der Lärm der Scootermotoren die Tiere nicht erschreckt. Ganz nach Vorschrift, so, wie es gemacht werden soll.«
Der Leiter des Roten Kreuzes nickte. Aber er ließ die drei gelblichen Gestalten draußen auf dem Eis nicht aus den Augen.
»Wir gucken nur«, sagte Hugo Halvorsen leise.
»Was meinst du, wo die hinwollen?« Zum ersten Mal, seit sie angehalten hatten, wandte sich der Rote-Kreuz-Leiter an die Jugendlichen. Er sprach Hugo Halvorsen wie einen Gleichaltrigen an.
»Nach Norden.« Hugo zeigte mit ausgestrecktem Arm. »Die wollen in den Fjord hinein, und da werden sie sicher nichts zu fressen finden. Aber vielleicht wissen sie ja mehr als wir? Vielleicht wird das Eis im Norden bald aufbrechen? Die sind bestimmt auf dem Weg zum Wijdefjord. Da findet man im Frühling immer viele Bären, wenn die Ringelrobben ihre Jungen auf dem Seeeis werfen.«
Noch während sie sprachen, hatten sich ihnen die Bären genähert. Die Bärenmutter hatte sie endlich entdeckt. Sie hob den Kopf und witterte. Hugo beugte sich vorsichtig vor und löste die Scooterbremse. Die Bärin blieb eine Weile mit gesammelten Pfoten stehen, eine vertraute Silhouette von vielen Kristall- und Porzellanfiguren. Die Jungen trotteten unbeirrt weiter.
»Sieht nicht gut aus«, sagte der Rote-Kreuz-Chef leise. »Sie wird nervös, wenn die Jungen sich nicht dicht bei ihr halten. Ich glaube, wir sollten uns ein wenig zurückziehen.« Doch dazu war es bereits zu spät. Die Bärin setzte sich plötzlich in Bewegung – zuerst mit einigen langsamen Schritten, dann nahm sie Tempo auf und galoppierte auf sie zu.
»Hugo! Hugo-o, was machen wir jetzt?« Das Mädchen sprang auf ihren Scooter und drückte den Gashebel. Aber sie hatte vergessen, die Bremse zu lösen. Der Motor brüllte laut hustend auf und erstarb dann.
»Scheiße«, fluchte Hugo Halvorsen und schaute die beiden Erwachsenen an. »Die Alte scheint wütend zu sein. Wäre wohl nicht schlecht, wenn ihr eure Gewehre rausholt.«
Der Mann vom Roten Kreuz hatte bereits seine Rifle hinten vom Schneescooter gelöst. Aber die Bärin lief schnell, war wohl nur noch höchstens fünfzig Meter von ihnen entfernt. Knut fummelte an seiner Waffe, schaffte es schließlich, die Sicherung zu lösen.
»Nicht schießen!« Hugo Halvorsen drückte das Gas seines Schneescooters
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