Suche: Roman
runter, dass der kräftige Motor aufheulte. Der schwarze Thundercat machte einen Satz nach vorn auf dem Eis. Dann lenkte Hugo ihn direkt auf den großen Eisbären zu.
»Was hat der denn vor?«, rief Knut seinem Mitstreiter zu. »Will er den Bären über den Haufen fahren?«
Der Thundercat machte einen kleinen Bogen um die Bärin herum und fuhr mit nur wenigen Metern Abstand an ihr vorbei. Die Bärin zuckte zusammen und erhob sich auf die Hinterbeine, um sich jedoch gleich wieder auf alle Viere fallen zu lassen. Aber Hugo Halvorsen ging nicht vom Gas runter. Er setzte seine wilde Fahrt fort, direkt auf die beiden Jungen zu. Die kleinen weißen Knäuel fingen an, emsig übers Eis zu laufen, weg von der Mutter. Erst als er sie fast eingeholt hatte, ging er ein wenig vom Gas, jagte sie aber weiter in gemäßigtem Tempo vor sich her.
Die Bärenmutter war stehen geblieben und witterte in der Luft. Aber nur kurz. Dann setzte sie sich in Bewegung, hinter dem Thundercat und ihren Jungen hinterher.
»Sieh dir diese Geschwindigkeit an! Scheiße, gleich holt sie Hugo ein!«, rief der blonde Junge. »Sollen wir hinterher?«
Aber der Rote-Kreuz-Chef schüttelte nur den Kopf. Er hatte sein Gewehr gesenkt. Die Bären waren außer Schussweite.
Im letzten Augenblick, kurz bevor die Bärin den Schneescooter erreichte, hatte Hugo Halvorsen sein Fahrzeug in einer scharfen Kurve Richtung Fjord zur Seite gerissen und kam nun in einem weiten Halbkreis zurückgefahren. Die Bärin lief einige Meter neben ihren Jungen her. Da sie aber kein bedrohlicher Lärm mehr jagte, beruhigten die drei Eisbären sich und trotteten nunmehr langsam zur anderen Seite des Fjords.
Knut nickte Hugo Halvorsen zu. »Das war auf jeden Fall gegen das Gesetz. Und das hätte mir gerade noch gefehlt, wenn ich dich deinem Vater in einem schwarzen Sack hätte zurückbringen müssen.«
»Ja. Und jetzt sind sie auf direktem Weg nach Longyearbyen.« Aber der Rote-Kreuz-Chef lächelte. Es hätte viel schlimmer ausgehen können. »Was machen wir? Es wäre nicht besonders schlau, sie noch einmal zu jagen. Eisbären haben Probleme mit einer erhöhten Körpertemperatur. Deshalb bewegen sie sich normalerweise so langsam, auch wenn sie mit die schnellsten Raubtiere sind, die es gibt.«
Hugo Halvorsen kam mit einem Vorschlag. »Könnt ihr sie nicht an Longyearbyen vorbei lotsen? Ihr hab doch in so einer schönen kalten Winternacht sowieso nichts Besseres zu tun, nicht wahr? Oder was soll diese ganze Sucherei zwischen den Häusern und auf den Wegen bedeuten?«
Als sie mehrere Stunden später zurück nach Longyearbyen kamen, lief die Suche immer noch. Knut und der Leiter des Roten Kreuzes fuhren zu den Gebäuden unten am Kai. Die Suche war fast beendet, hatte aber viel Zeit gekostet. Einige Häuser waren gar nicht erst durchkämmt worden, weil offensichtlich war, dass sie seit mehreren Tagen von keinem mehr betreten worden waren. Die Schneewehen hatten sich hoch an Wänden und Türen aufgetürmt, es war keine Fußspur zu sehen. Aber die Lagerhallen, die im Laufe des Tages benutzt worden waren, waren groß und voll mit jeder Menge Kisten, Ausrüstungen und Gerümpel, so dass es Tage dauern würde, alles genau zu sichten. Die Suchmannschaften begnügten sich erst einmal damit, die Regalreihen entlangzulaufen, zu rufen und nach irgendeiner Spur von Leben Ausschau zu halten. Jedes Mal, wenn sie aus einem erwärmten Gebäude herauskamen, schlug ihnen die Kälte wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Inzwischen waren sie müde und mutlos.
Der Leiter des Roten Kreuzes ging zu der kleinen Gruppe, um mit ihnen zu sprechen und sie zu einer weiteren Suche die Nacht hindurch zu motivieren. Knut blieb bei laufendem Motor auf dem Schneescooter sitzen. Er hatte keine große Lust, zum Verwaltungsgebäude hochzufahren. Außerdem war es mittlerweile so spät, dass die Polizeibeamten bestimmt nach Hause gegangen waren. Er selbst hätte auch einige Stunden Schlaf gebrauchen können. Aber er hatte auch diese Nacht Wache.
Er blieb sitzen und schaute über die schlafende Stadt. Sie wirkt fast wie ein Aufkleber, dachte er, auf die schwarzblaue Landschaft geklebt. Doch dann dachte er daran, dass es irgendwo hinter diesen dunklen Wänden und hohen Schneeverwehungen ein kleines Kind gab, das nicht bei seiner Mutter zu Hause war. Er hoffte, dass sie es warm hatte. Er hoffte, dass sie schlief und dass jemand auf sie aufpasste.
Ihm kam eine Idee. Sollte er noch einmal im Kindergarten nachsehen? Die
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