Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Jahre alten Körper. Die vielen Schönheitsfehler retteten sie vor dem Strich. Dafür war sie das Opfer von Tina, der »Mammi«. Und die sah gut aus, war Mutter eines Teils von Tigers Kindern, war Sadistin und erniedrigte jeden, der schwach war. Die Zeit über hatte sie sich einen Kreis ergebener Habenichtse gezüchtet, jene verachteten »freeloaders«, die hündisch den Augenblick abpassten, in dem Tina eine Runde Crack spendierte.
»Tyson« grübelte. Die Zweiundvierzigjährige, auch schwanger, wieder schwanger, war früher Boxerin. Unterwegs für die »Golden Gloves«. Jetzt galt sie als crackblöd, blöd von den Hieben und dem Rausch. Sie schien süchtiger als alle anderen. Die vier vorderen Zähne fehlten, Erinnerungen an eine linke Gerade. »My tool«, mein Werkzeug, sagte sie und deutete auf die Lücke. Als ich sie ratlos anblickte, klärte sie mich auf: »Du glaubst nicht, Andrew, wie genau hier jeder Schwanz reinpasst.« Und steckte drei ihrer Boxerfinger zwischen die beiden Eckzähne. Quod erat demonstrandum. Das sagte sie nicht, aber das war es.
Peggy war nicht schwanger, zumindest gab es keine Hinweise. »Nicht dass ich wüsste.« Sie hatte ein Auge auf mich geworfen. Nicht auf mich, den Mann, nein, auf mich den Dollarbesitzer. Hatte sie die Pfeife bis auf den letzten Krümel geraucht, auch »the residue«, die Restbestände, die am Glas klebten, zusammengekratzt und nochmals angezündet, dann landete sie – wie wir alle – wieder auf der Erde. Eher unsanft. Auch das hatten wir alle gemeinsam. Das Unsanfte. Crack ist ein »upper«, ein Stoff, der jagt. Zuerst Richtung Himmel, dann zurück in die Wüste. Jeder wurde damit anders fertig. Doch der Tick des Schwergewichts war der originellste. Mit beiden Händen griff sie zum Büstenhalter und schüttelte heftig die (enormen) Brüste. Möglicherweise, so ihre Erklärung, hatten sich dorthin ein paar Krumen verkrochen.
Peggy war träge. Sie hatte genug vom »freelance lipservice«, so nannte sie es, sie wollte sitzen bleiben und nicht am Straßenrand stehen und auf einen Kunden warten. Deshalb kam sie auf die Idee, mir eine Liste zu übergeben, auf der sie säuberlich – sie war einmal als Sekretärin bei der US-Armee in Stuttgart beschäftigt – links ihre verschiedenen Körperteile auflistete und rechts die Summe, die zu bezahlen wäre, wenn ich mich zur Benutzung einer oder mehrerer ihrer Öffnungen entscheiden sollte. Als Zusatz bot sie einen »hand relief« an, eine Masturbationssitzung.
Barbi machte weniger Umstände. Sie war die einzige Nicht-Schwarze, sie war Puertoricanerin. Mit einem hübschen Gesicht, zudem wachsam, noch fähig zu vollständigen Gedanken, noch nicht verwüstet im Kopf. Ihr Erkennungszeichen war das Zappeln. Sobald sie wieder in der Wirklichkeit angekommen war, fingen ihre vier Gliedmaßen zu zittern an. Sie konnte ab sofort nicht stillsitzen, sprang auf und schlenkerte wie eine Marionette durch den Raum, hielt einmal einen Arm, einmal ein Bein fest, um den Presslufthammer in ihrem jungen straffen Körper zu bändigen. Eines Nachmittags hatte sie genug Mut, haschte nach meiner rechten Hand, führte mich vor die Tür zum Hinterzimmer – wo Haufen von Schmutzwäsche und die Matratzen lagen – und erzählte die Geschichte von ihrer lungenverkrebsten Mutter im Krankenhaus, folglich: »Please, fuck me, I’ve got to get the money.« Nichts schien leichter zu verstehen. Barbi brauchte das Geld für ihren Crackhunger, erfand aber eine rührige Story, um mich zur Herausgabe der Scheine zu überreden. Sie sagte todernst: »I fuck for her.«
Crack rauchen und gleichzeitig Sex haben, konkreter, gleichzeitig vom Partner »bedient« werden, galt als grandiose Leiberfahrung. Für alle, die einmal dabei waren.
Die meiste Zeit wurde gedöst, gewartet, vertrödelt. Es gab kein Ziel, wenn nicht das ein und einzige: wieder high abzuheben, eben in eine Hochstimmung zu schlittern, die das übrige Leben, das niedrige, das elende, vergessen ließ. Sicher, nach dem High waren die Niederungen noch mühseliger zu ertragen als kurz davor. Wie einleuchtend, denn das Wissen auf ein baldiges Abheben dämpfte den Frust, vernebelte als Vorfreude die Sinnlosigkeit.
So krachte es meist dann, wenn die Junkies schon längere Zeit vom cold turkey geschüttelt wurden. Weil das Geld fehlte für Nachschub, weil zu wenige Männer vorbeikamen, die nach einschlägigen Dienstleistungen verlangten, weil Tina sich am Hungerblick der Nassauer ergötzte und kein Gramm
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