Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
schlagen in meiner Brust? Dass ich nicht lache. Tausend schlagen in mir, in uns. Wenn tausend reichen. Wer seine eigenen Widersprüche aushält, hält die Widersprüche des anderen aus. Auch dessen herausforderndsten: sein Fremdsein.
Wie hell werden, kopfhell? Wie sehen lernen? Wie die Angst loswerden vor einem, der anders daherkommt als man selbst? Reisen allein hilft nicht. Die Deutschen gehören zu den »Reise-Weltmeistern«. Sind wir jetzt weltoffen, weltoffener? Spazieren jetzt unsere Ausländer salopper und unbekümmerter durch unsere Straßen? Nicht, dass ich wüsste.
Vielleicht hilft weggehen. Und wegbleiben. Für Jahre, mindestens. Selber fremd sein. Vielleicht ereilt uns dann eine Ahnung von der eigenen Provinzialität. Ein Pariser Freund, der die Hälfte seines Lebens im Ausland gelebt hatte, meinte einmal: »Ich bin gern Fremder.« Kluge Bemerkung, denn woanders seine Zeit verbringen macht das Leben verwundbarer, intensiver, vieles destabilisiert, oft muss der Fremde sich neu arrangieren, für den täglichen Grind der Routine bleibt weniger Zeit. Die Gefahr, zweimal denselben Fehler zu machen, ist geringer, die Chancen steigen, neue Irrtümer begehen zu dürfen. Das Herz verhornt langsamer, die Augen erblinden später, das Leben – das Wachsein – dauert länger. Der Verstand, nicht täglich eingelullt von den ewig gleichen Bewegungen des Körpers, weigert sich trotzig, als Kleinhirn zu enden. Die fürchterliche Aussicht, als mutlose Null seine Zeit abzusitzen, diese Aussicht holt den Outsider kaum ein. Er ist auf seltsame Weise dankbar. Er darf staunen, er besteht auf Überraschungen.
Natürlich, die Voraussetzung für all das ist der Mut, unvertraute Gedanken und unvertrautes Territorium zu riskieren. Und nie dieser penetranten Lust abzuschwören, zu lernen. Denn auch Flachköpfe haben woanders gelebt und wollen hinterher noch immer nicht lassen von ihrer Flachköpfigkeit.
Nun kommt der zweite Teil des Pamphlets. Den ich jetzt schreibe, fünf Jahre nach dem ersten. Inzwischen bin ich kleinlauter geworden, inzwischen glaube ich nicht mehr an brave Vorsätze, freundliches Guten-Morgen-Sagen und ein freiwilliges Exil, um schwerwiegende Abneigungen und archaische Urängste zu verjagen. Schon möglich, dass wir es damit zum trostlosen Zustand der »Toleranz« schaffen, immerhin den anderen dulden, immerhin ihn nicht vermaledeien und verscheuchen.
Wollen wir tatsächlich vom Fleck kommen, dann müssen ganz andere Anstrengungen her. Soll Multikulti, soll die »Vielkultur« funktionieren, müssen die einen von den anderen was wissen, ja wissen wollen. Ignoranten können nicht miteinander kommunizieren. Erst wenn der fremde Gemüsehändler und der weiße Eingeborene sich für den Lebensraum des anderen interessieren, erst wenn sie die Ebene Verkäufer und Käufer verlassen, erst wenn beide so etwas wie »Weltwissen« – konkret: Wissen über die Türkei, Wissen über Deutschland – in ihren Köpfen abgespeichert haben (Politik, Literatur, Film, Wirtschaft, Kunst, Musik, Klatsch, was auch immer), erst dann besteht die Möglichkeit für Nähe und gegenseitige Bereicherung.
Klar, ich deliriere. Mustafa hat keinen Bock auf die Wortzaubereien von Ernst Jandl und die Schulzes werden nie ein Liebesgedicht von Nazim Hikmet auswendig lernen. Ja lernen wollen. So bleibt es dunkel unter ihrer Schädeldecke und das Wort Multikulti wird – bis zur nächsten Ewigkeit – nichts anderes sein als ein sonnengelber Sticker auf einer Latzhose.
DER NICHTRAUCHER-WAHN
Die Menschheit ist zäh. Sie hat die Unfehlbarkeit von 306 Päpsten und Mister Bush jr. überlebt, sie wird Bin Laden überleben, ja sicher auch die nächste Riege rabiater Wichtigtuer, die uns erlösen will. Denn seit kurzem hat eine Rasse von Geiferern die Weltbühne betreten, von der wir nicht sicher sein können, ob sie uns – uns Inhalierer – am Leben lässt. Die Rede ist von den Predigern eines gesunden Todes, den Nikotinfingerlosen, den Lungenbläschenstrahlenden. Ihnen (und uns) will ich eine kleine Geschichte erzählen. Sie spielt in Asien, ich befinde mich in einem Überlandbus, und sie geht so:
Ich saß auf den Stufen der Hintertür, die weit offen stand, fest gerostet. Niemand in meiner Nähe, alle Fenster offen, keine fünf Passagiere. Ich zündete mir einen Zigarillo an, wollte die Brise und das Leben genießen. Aber selbst in Schrottmobilen mit einem wild fauchenden Auspuff ist das in modernen Zeiten nicht mehr möglich. Denn auch
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