Süchtig
körpereigenen Rechner beschädigt hatte. Welche finsteren Machenschaften da im Gang waren, konnte ich später noch herausfinden. Im Augenblick ging es ums Überleben.
»Dr. Fernandez«, meldete sie sich.
»Leslie.«
»Hallo, Lover-Boy«, sagte sie erfreut.
»Lover-Boy braucht noch einmal deine Hilfe.«
»Seufz. Was ist denn los?«
»Leslie, ich brauche ein Rezept für Ritalin. Hundert Tabletten zu mindestens zwanzig Milligramm.«
»Nat?«
»Und Augmentin oder etwas in der Art. Das stärkste Breitband-Antibiotikum, das auf dem Markt erhältlich ist.«
Schweigen.
»Ich hole mir das Zeug bei der Walgreens-Zweigstelle in Pleasanton ab«, sagte ich.
»Ist bei dir alles in Ordnung? Du nimmst doch nicht etwa Drogen?«
Ich lachte, aber ihre Sorge war begründet. Mein Ansinnen war nicht illegal – Ärzte verschreiben sich ständig gegenseitig Medikamente -, aber die Menge war bedenklich. »Nein, Leslie. Bitte halt mir jetzt keine Moralpredigt. Du bringst niemanden in Gefahr. Vertrau mir.«
»Okay, Lover-Boy.« Das klang nicht sehr überzeugt. »Falls du mich brauchst, weißt du, wo du mich findest.«
»Da wäre noch etwas.«
»Meine schönen Augen?«
»Norepinephrin und Dopamin«, sagte ich. »Meine
Medizinkenntnisse könnten eine Auffrischung vertragen.«
»Neurotransmitter. Catecholamine.«
»Alles klar.«
»Was ist los?«
»Das sind Hormone, die in Stress-Situationen ausgeschüttet werden, stimmt’s?«
»Das gilt vor allem für Norepinephrin. Es steuert die primitiven Reaktionen als Vorbereitung auf eine Flucht oder einen Kampf. Du weißt schon, Erweiterung der Pupillen, Verengung der Blutgefäße, Steigerung der Herzfrequenz. Dopamin hat eher mit dem Lustzentrum des Gehirns zu tun, aber auch mit Zwängen und Verlangen.«
»Dopamin steuert also das Suchtverhalten?«
»Oder weist auf eine Sucht hin. Warum fragst du mich das?«
»Es geht um ein wissenschaftliches Experiment. Hör mal, ich muss auflegen.«
»Tu das bloß nicht.« Nun wurde sie sehr energisch.
Sie wollte wissen, ob die Sache mit Dr. Bard und meinem ersten Anruf zu tun hatte. Als ich ihr sagte, ich hätte keine Zeit, darüber zu reden, war sie erst recht beunruhigt. Ich musste ihr schwören, dass ich weder krank war noch Ärzte-Hopping betrieb – manche Süchtige machen nämlich bei ihren Freunden die Runde, um sich Drogen verschreiben zu lassen. Bei Medizinern ist das gar nicht so ungewöhnlich. Leslie klang bis zum Schluss nicht recht überzeugt.
Nachdem ich aufgelegt hatte, fuhr ich zu einem Denny’s nördlich vom Lake Merritt in Oakland. Das Viertel war etwas heruntergekommen, daher würde
sich vermutlich keiner wundern, wenn ich auf der Toilette des Restaurants eine Generalüberholung vornahm. Eine offene Wunde zu reinigen, war allerdings hart an der Grenze. Zum Glück war die Toilette leer – bis auf ein Paar Jeans mit Urinflecken, die neben dem Pissoir auf dem Boden lagen.
Mit angehaltenem Atem hob ich mein Hemd an. Dabei versuchte ich mir einzureden, ich sei wieder Medizinstudent in der Notaufnahme und hätte einen fremden Patienten vor mir. Bei genauerer Untersuchung der Fleischwunde stellte sich heraus, dass der Patient noch einmal Glück gehabt hatte. Der Briefbeschwerer hatte ihm die Seite aufgerissen, aber die großen Blutgefäße verfehlt. Weder Schulterblatt noch Rippen waren gebrochen. Wichtig war, dass die Wunde gesäubert und verbunden wurde. Danach wären eigentlich Bettruhe und ausreichende Flüssigkeitszufuhr angesagt gewesen. In meinem Fall musste eine sorgfältige Reinigung der Wunde reichen.
Dreißig Minuten später stand ich bei Walgreens, wo mich eine winzige Apothekerin mit dicken Brillengläsern bediente.
»Haben Sie das schon einmal genommen?«, fragte sie, als sie mir das Ritalin gab.
Ich nickte.
Sie griff nach einem zweiten Tütchen, sah mich an und las noch einmal die Aufschrift.
»Das Mittel hier dürfen Sie nicht auf nüchternen Magen nehmen«, sagte sie. »Es handelt sich um ein starkes Antibiotikum, das Übelkeit und verschiedene andere unangenehme Nebenwirkungen auslösen kann.«
Ich bezahlte mit einem Teil der dreihundert Dollar, die ich am Geldautomaten vor der Apotheke abgehoben hatte.
Noch auf dem Parkplatz öffnete ich das Ritalin-Glas und entnahm ihm zwei der kleinen weißen Pillen – das Doppelte der ohnehin schon hohen Dosis. Ich spülte die Tabletten mit einem Schluck warmer Pepsi aus der Flasche auf meinem Beifahrersitz hinunter.
Was hatte ich zu erwarten? Ein
Weitere Kostenlose Bücher