Süchtig
gesagt, Sie wären auf dem Weg zu mir.«
Erbeugtesichüberseinen Schreibtisch und besprühte seine Hand mit einem Desinfektionsmittel für gewerbliche Zwecke. Hätte ich nicht ganz andere Probleme gehabt, ich wäre vielleicht beleidigt gewesen. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass mir so etwas passierte. Besonders die von mir interviewten Ärzte und Manager desinfizierten sich permanent die Hände. Nicht nur bei mir, sondern auch wenn sie Berufskollegen oder sonst irgendwem die Hand geschüttelt hatten. Manchmal legten sie zur Begrüßung nur die Fäuste aneinander. Keimphobie. Generalreinigung statt Händedruck.
Dabei war meine Erkrankung schlimmer als jeder Infekt.
Ich erkannte den Raum wieder: den schweren Schreibtisch aus Eiche unter dem eingebauten Regal, das immer noch kaum Bücher enthielt. Das Fenster links vom Schreibtisch, mit dem fantastischen Blick auf die von Scheinwerfern und Heckleuchten der Autos erhellte Bay Bridge und den fast vollen Mond. Auf der dem Fenster gegenüberliegenden Seite des Zimmers stand ein Sofa. Der mit Eiswürfeln gefüllte Eimer auf dem rötlichen Tisch davor enthielt Mineralwasserflaschen. Elliott deutete auf die Couch. Ich setzte mich, öffnete ein Wasser und trank.
Er zog sich einen Stuhl heran. Der gehörte zu einem kleineren zweiten Schreibtisch links vom Fenster, auf dem ein Laptop stand. Elliott trug ein sauber gebügeltes königsblaues Hemd, das er in die graue Hose gesteckt hatte. Er sah noch fast so aus wie bei unserem letzten Gespräch, nur seine Stirn war höher geworden. Offenbar gingen ihm die Haare aus.
Er griff nach einem Golfschläger, der an dem kleinen Schreibtisch lehnte, und fing an, ihn spielerisch durch die Luft zu wirbeln.
Vorsicht war geboten. Ich hatte keine Ahnung, was er wusste. Auf jeden Fall konnte ich nicht davon ausgehen, dass wir Verbündete waren. Informationen über Annie durfte ich daher nicht preisgeben.
»Was können Sie mir über Strawberry Labs sagen?«
»Geht es um die Herstellung synthetischer Beerenfrüchte?« Er legte eine kurze Pause ein. »Entschuldigung, das war ein schlechter Witz. Sie sehen aus, als hätten Sie ernsthafte Probleme.«
»Arbeiten Sie noch für Glenn Kindle?«
Er nickte. Natürlich arbeite er noch für Kindle Investment Partners. Konkrete Namen oder Fälle könne er leider nicht nennen, aber falls ich während seiner Bürozeiten wiederkommen wolle, sei er gern bereit, allgemeine rechtliche Fragen zu erörtern. Leere Floskeln. Selbst ohne die nagenden Kopfschmerzen und die Übelkeit wäre es die reinste Gehirnwäsche gewesen. Ich holte einen Oreo-Keks aus meiner Tasche und steckte ihn mir in den Mund.
»Was ist mit Vestige?«
»Vestige? Verfolgt Sie das immer noch? Hören Sie, es hat einen Vergleich mit den Finanzbehörden gegeben. Das ist öffentlich bekannt. Aber über konkrete Fälle darf ich wirklich nicht mit Ihnen reden.«
Ich holte mein Handy heraus.
»Dann rufe ich jetzt die Polizei an. Die soll Ihnen und Glenn Kindle einen Besuch abstatten.«
Es war ein fadenscheiniger Bluff, vor allem, da ich selbst gesucht wurde. Aber ich musste herausfinden, wie viel Elliott wusste. Er reagierte eine Sekunde zu spät.
»Halten Sie das in Anbetracht Ihrer misslichen Lage für klug?«
Es folgte eine kurze Pause. Offenbar überlegte er fieberhaft.
»Es wird ganz schön dumm aussehen, wenn Sie ohne erkennbaren Grund die Polizei rufen. Sie kommen mir müde vor, Idle. Als Anwalt kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie sich höchst merkwürdig verhalten. Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel.«
Wenn ich mich nicht irrte, hatte er soeben zugegeben,
dass er mehr wusste, als er sagen wollte. Jetzt versuchte er, seinen Fehler zu vertuschen. Was meinte er mit »misslicher Lage«? Das Café? Meine Krankheit? Oder Annie? Und wieso rief Elliott nicht selbst die Polizei? Ich konnte einfach nicht klar denken.
»Hören Sie sich meine Theorie an«, sagte ich.
»Ich muss wirklich nach Hause.«
»Jemand aus Glenn Kindles Umfeld – vielleicht sogar Glenn Kindle selbst – lädt ein … Programm auf Rechner. Eine gefährliche Software, von der die Leute krank werden.«
Er brach in Gelächter aus.
»Das Programm wirkt wie ein Aufputschmittel. Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration sind beeinträchtigt. Das Ganze hat etwas mit Serotonin und den Dopamin-Rezeptoren zu tun. Man wird geradezu süchtig nach dem Computer.« Anders ließ sich das Phänomen nicht beschreiben. »Es ist ein enormer Kick.«
Ich, Andy
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