Süchtig
Wir müssen wissen, in welchem Maße wir exponiert sind. Sie kennen die Medien. Falls es irgendwelche Hinweise auf eine Verbindung zwischen uns und dem Anschlag auf das Café gibt, wäre das für die Journalisten ein gefundenes Fressen.« Das war Helen Douglass.
»Außerdem sind wir neugierig«, meldete sich Latzke zu Wort. »Gibt es noch weitere Tests, von denen wir nichts ahnen?«
»Nein«, versicherte Kindle. »Sie kennen mich seit Jahren. Sie wissen, wofür ich stehe. Wir wollen doch aus einer Mücke keinen Elefanten machen.«
»Eine merkwürdige Wortwahl.«
»Und Sie sind sich Ihrer Sache ganz sicher, Kindle?«
»Nun ja«, sagte Annie so leise, dass ihre Stimme kaum zu hören war, »die Tatsache, dass wir die Zustimmung der Testpersonen nicht eingeholt haben, könnte sich als problematisch erweisen.«
»Moment mal«, erwiderte ihr Vater. »Ich wusste nichts von …«
»Lassen Sie sie ausreden.«
»Wir konnten uns nicht auf die Daten von freiwilligen Probanden verlassen, selbst wenn sie nicht genau
wussten, worauf sie getestet wurden. Wie gesagt, ein Feldtest war naturgemäß der nächste Schritt. Darüber waren wir uns alle einig. Ich habe diesen Plan nur umgesetzt.«
»Das kann doch nicht wahr sein«, protestierte ihr Vater.
»Wir führten anonyme Tests durch«, fuhr Annie fort – ganz die zerknirschte Untergebene, die sich verpflichtet fühlt, die Geschäftsführer über das Risiko zu informieren. »Wir wählten eine Handvoll Personen aus, die das Internet intensiv nutzten. An einigen erprobten wir die Tastaturmethode, an anderen die sublimen Werbebotschaften. Die Computer, auf denen wir die Software installiert hatten, registrierten Verhalten und Surfmuster – Informationen, die wir nutzen wollten.«
»Ich war davon ausgegangen, dass alle Testpersonen schriftlich ihre Zustimmung erteilt hatten. Falls wir in die Sache hineingezogen werden, können Sie sich auf eine Klage gefasst machen«, drohte Latzke, der offenbar bereits mit der Schadensbegrenzung beschäftigt war. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was seine Anwälte den Medien erzählen würden.
»Das ist noch nicht alles«, ergänzte Annie. »Die Experimente liefen nicht ganz nach Plan. Mehrere Testpersonen wurden krank. Zuerst bekamen sie Kopfschmerzen. Ein Proband hat möglicherweise Selbstmord begangen, aber ich möchte betonen, dass wir nicht wissen, ob ein Zusammenhang besteht.«
Rothsberger schlug mit seiner fleischigen Handfläche auf den Tisch. »Das reicht!«
Helen Douglass sprang Kindle fast an die Gurgel.
»Sie sind ja wahnsinnig! Erst experimentieren Sie mit unfreiwilligen Testpersonen, und dann bringen Sie die Leute auch noch um! Wissen Sie überhaupt, wer wir sind und was für uns auf dem Spiel steht?«
»Sie sind abgesichert, Mrs Douglass«, sagte Kindle. »Mit dem Alltagsgeschäft in der Entwicklung haben Sie nichts zu tun. Ich schwöre Ihnen, dass ich keine Ahnung hatte. Diese Geschehnisse waren völlig unvorhersehbar. Es war ein Unfall. Offenbar ist bei der Intensität der Experimente etwas schiefgegangen. Ein Problem mit der Methodik, nehme ich an.« Kindle schwieg kurz und wandte sich dann an Annie. »Und ich kann mir gut vorstellen, wer unsere Arbeit sabotiert hat.«
»Das ist ja wohl nicht dein Ernst!«, konterte sie.
»Ich habe keine Ahnung, ob überhaupt eine Verbindung zu dem Anschlag auf das Café besteht«, versicherte er seinen Geschäftspartnern. »Meines Erachtens handelt es sich um einen Zufall.«
Das klang aufrichtig, aber die Jury hatte ihr Urteil bereits gefällt. Je mehr er redete, desto schuldiger klang er.
Annie legte noch eins drauf. »Vor zwei Tagen habe ich übrigens Ed Gaverson informiert. Ich hielt das für meine Pflicht. Er war sehr bedrückt.«
»Wir müssen uns unter vier Augen unterhalten.« Kindle sah seine Tochter an.
»Tut mir leid, aber das muss öffentlich werden. Warum erzählst du den anderen nicht von dem Beweis, der unsere Verbindung zu dem Anschlag belegt?«
Kindles Augen weiteten sich. »Genug. Bitte.«
»Wo ist der Laptop, der diesen unglückseligen jungen
Mann das Leben gekostet hat?«, fragte sie ihn. »Der Computer könnte uns alle vernichten. Der Ruf dieser angesehenen Geschäftsleute wäre ein für alle Mal ruiniert.«
Kindle schwieg.
»Und wo ist er?«, fragte Latzke.
Annie griff nach einer Tasche und holte den Laptop heraus. Sie hielt ihn in die Höhe. »Diese Spur weist zu jedem Einzelnen von Ihnen. Als mir klar wurde, in welche Lage Mr Kindle Sie gebracht
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