Süchtig
vielleicht die falsche Bezeichnung,
obwohl sie genau genommen nicht verboten ist«, warf Glenn Kindle ein. »Wir reden hier eigentlich nur von einer Optimierung der Hintergrundinformationen. Wir könnten uns für die kostenlose Nutzung bestimmter Dienste die Zustimmung zu einer kontinuierlichen Übermittlung von Werbebotschaften erteilen lassen. Damit meine ich individuell abgestimmte Botschaften, die der Benutzer gar nicht wahrnimmt. Auf jeden Fall ermöglicht diese Technologie eine effizientere Kommunikation durch interessante, persönliche Botschaften über Computer, Telefon oder Pocket-PCs.«
»Die Dienste müssten natürlich am Standort des Benutzers ausgerichtet sein«, meinte Latzke.
»Genau«, erwiderte Kindle. »Durch die Ausrüstung von Handys mit GPS können wir unsere Interaktion mit den Benutzern nicht auf deren Präferenzen, sondern auch auf ihren Standort abstimmen. Wir liefern ihnen Informationen über Restaurants, Freizeitmöglichkeiten und andere Angebote in ihrer Nähe. Dieser kontinuierliche Informationsfluss lässt sich nicht unterbrechen, aber das wird auch niemand wollen.«
Die neue Technologie, von der die Kindles redeten, kam mir vor wie eine Droge.
»Natürlich beinhaltet unser Verfahren auch eine Intensivierung von Ton und Farbe. Das gesamte Computererlebnis wird verstärkt«, fuhr der mit allen Wassern gewaschene Risikokapitalanleger fort. »Im Augenblick arbeiten wir noch an der Entwicklung und Perfektionierung dieser Technologie. Durch die ständige Kommunikation mit ihnen möchten wir gewährleisten, dass wir sofort mit der Umsetzung beginnen können, wenn wir so weit sind.«
»Und Sie glauben wirklich, dass das funktioniert?«, fragte Helen Douglass.
Annie meldete sich erneut zu Wort. »Wir sind absolut sicher. Wie bereits erwähnt, arbeite ich seit über fünf Jahren an der Entwicklung dieser Technologie.«
Fünf Jahre. Ich hustete, um einen Ausruf zu unterdrücken.
Latzke räusperte sich. »Der Gedanke klingt mir gar nicht so weit hergeholt.«
»Die Gesellschaft befindet sich ja bereits auf dem besten Weg dorthin«, setzte Kindle voller Enthusiasmus hinzu. »Denken Sie nur an die vielen Menschen, die süchtig nach Videospielen sind, ständig telefonieren, im Netz surfen oder E-Mails versenden. Wenn nicht rund um die Uhr mit Hochgeschwindigkeit Daten übermittelt werden, langweilen sich die Leute und verlangen nach einer höheren Dosis.«
Latzke sah Helen Douglass an. »Die Werbebotschaften der Suchmaschinen sind ohnehin schon in hohem Maße auf Standort, Geschmack und andere Präferenzen der Benutzer abgestimmt. Diese Methode wäre die perfekte Individualisierung des Marketings für ein absolut loyales Publikum.«
»Wir sind doch jetzt schon alle süchtig«, meldete sich eine Stimme, die ich zu meiner Überraschung als meine eigene erkannte.
Die anderen drehten sich zu mir um, aber Glenn Kindle ließ sich nicht beirren. »Lassen wir die Methode einmal außen vor. In jedem Fall werden wir aus den allgegenwärtigen digitalen Geräten das leistungsstärkste Übertragungssystem aller Zeiten machen. Ständig wird im Silicon Valley von einer sensationellen Neuentwicklung
geredet. Hier ist sie. Das wissen Sie intuitiv. Wir haben es mit der unausweichlichen Verschmelzung von Mensch und Computer zu tun. Stellen Sie es sich so vor: Wir arbeiten wie ein Casino. Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der alles stimmt. Das verschafft dem Besucher ein unglaubliches Wohlgefühl.«
Annie beugte sich vor. »Soweit unser Plan. Aber jetzt haben wir ein Problem«, sagte sie sehr leise.
55
Mir lief es bei diesen Worten eiskalt über den Rücken. Ihr Ton war völlig emotionslos und knallhart. Sie musste sich ihrer Sache absolut sicher sein.
Das schien jedoch auch auf ihren Vater zuzutreffen. »Das ist völlig überflüssig.«
Der Wortwechsel wurde durch ein lautes Klopfen an der Tür unterbrochen.
»Rothsberger!«, dröhnte eine tiefe, kehlige Stimme.
»Endlich«, stellte Latzke nüchtern fest.
Der korpulente Rothsberger mit den schwabbelnden Hängebacken herrschte über eine der größten Internet-Suchmaschinen der Welt.
»Ich hatte USA Today in der Leitung. Die finden einfach kein Ende«, verkündete er.
Es klang, als wäre er nie um eine Ausrede verlegen. Er sah sich im Raum um.
»Das ist ja eine Stimmung wie auf einer Beerdigung!«
Dann verstummte er.
»Oh, Mist! Sie haben von Gaverson gesprochen. Habe schon gehört, dass er sich umgebracht hat. Furchtbar. Was für eine
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