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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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– ein Swimmingpool, kaum größer als eine Badewanne.
    »Hier möchte ich weder leben noch sterben«, sage ich.
    »Das sagst du jedes Mal«, sagt Raoul. »Also gilt es nicht.«
    »Unfair«, sage ich.
    »Fairer geht’s nicht, Ruth.« Ganz ernst sagt er das.
    Als wir am Ortsschild von Unterbruchstetten vorüberfahren, läuft uns um ein Haar ein Köter vors Auto. Raoul bremst und flucht gleichzeitig. Der einzige Grund, weshalb er gemeinsam mit mir den Elternbesuch absolviert, ist der Umstand, dass er auf diese Weise einmal im Monat zu einem Dreigängemenü kommt.
    Wir parken vor dem fleischfarbenen Haus am Ende der Beethovenstraße. Der Asphalt schwitzt. Sogar den Vögeln ist es heute zu heiß. Totenstille. Nur Frau Obernosterer ist auf ihrem Posten. Hauskleid mit Rhombenmuster und große Tränensäcke, die von der Mühsal des Landlebens erzählen. Sie schichtet Holzscheite unter ein Vordach.
    »Ah, da wird sich die Frau Mamá aber freuen«, sagt sie und wischt sich die Hände an der Schürze ab. Sie betont Mamá auf der zweiten Silbe, so als besäßen wir ein Schloss in der Provence.
    »Ich glaub, Sie kriegen Grießnockerlsuppe und Rindfleisch heute. Und einen Apfelstrudel. In der Früh hab ich durch das Fenster geschaut, da hat sie den Teig ausgezogen.«
    »Ausgezogen?« Raoul grinst mich an. »Du hast noch nie einen Teig ausgezogen.«
    »Das Wichtigste, junger Mann: Man muss den Ehering vorher abnehmen, sonst bleibt der Teig daran kleben«, sagt Frau Obernosterer.
    »Wir sind nicht verheiratet«, sagt Raoul.
    Täusche ich mich, oder schwang da Erleichterung mit?
    »Ich glaube, wir sollten«, sage ich zu Raoul und deute aufdas Amsel-Haus. Die Glocke macht Klingklong, auf dem Fußabtreter steht: »Bring Glück herein.« Ich weiß bis heute nicht, wie das geht, das mit dem Glück hereinbringen.
    »Hast du Maja in letzter Zeit mal getroffen?«, frage ich Raoul und bemühe mich um einen unbeschwerten Tonfall.
    In diesem Moment öffnet meine Mutter die Tür. Sie hat sich hübsch gemacht: Rüschenbluse, Pullunder, Perlenkette. Sogar Parfum hat sie aufgelegt. Brodel- und Zischgeräusche aus der Küche. Meine Mutter reicht uns zwei Paar Hausschuhe, groß wie Babybadewannen, einmal mit Bären-, einmal mit Katzengesichtern. Wir stehen direkt unter dem grotesk feierlichen Kristalllüster.
    »Wo ist Papa«, frage ich.
    »Monopoly-Bezirksmeisterschaft«, sagt meine Mutter. Und dann, ohne Überleitung: »Wir haben einen Gast.«
    Wir schlurfen in die Küche. Raoul ist still wie immer, wenn er auf meine Familie trifft. Der Ecktisch in der Wohnküche ist heute festlich gedeckt, weißes Tischtuch, Stoffservietten, Silberbesteck, die besten Stücke aus unserer ROSENSTOLZ-Geschirrsammlung. Und dann sehe ich ihn: eine Art Clark Gable für Arme. Schwarzes, pomadisiertes Haar, leicht glänzender, dunkler Anzug, aufregend gemusterte Krawatte.
    »Das ist der Herr Walter«, sagt meine Mutter.
    Herr Walter steht auf und deutet eine Verbeugung an.
    »Bitte einfach Walter«, sagt er.
    Ich hoffe, ich muss keinen Knicks machen, aber er sitzt ohnehin bereits wieder, und zwar am Kopfende, auf dem Platz meines Vaters. Irritation. Noch ist kein Bissen gegessen, und der Gast bringt bereits das Familiengefüge durcheinander. Ich setze mich an Herrn Walters linke Seite, Raoul sitzt neben mir,gegenüber hat meine Mutter Platz genommen, auf dem »Schleudersitz«, der dem Herd am nächsten ist.
    »Ja«, flüstert Raoul.
    »Was: ja?«
    »Ich habe Maja getroffen. Das wolltest du doch wissen.«
    Ein Fausthieb, irgendwo zwischen Magen und Nabel.
    »Warum nicht? Du bist auch herzlich eingeladen, meine Freunde zu treffen.« Er setzt sein freundlichstes Lächeln auf. Dann tätschelt er meine Hand. »Keine Szene, Amselchen, ich bitte dich. Sie ist ein Profi für Fragen der Projektförderung auf europäischer Ebene. Ganz ehrlich: Ich freu mich über jedes Hirn, das mitdenkt.«
    »Europäisches Projekt? Welches europäische Projekt?«, frage ich, obwohl ich fragen will: Hirn? Welches Hirn? Geht es nicht eher um ihren Körper?
    »Später, Ruth, später«, zischt Raoul.
    Drama, denke ich. Drama, Drama, Drama. Jetzt ist es da. Und ich habe nicht mal daran mitgewirkt. Ich beschließe, Raoul zu bestrafen, indem ich Herrn Walter meine ganze Aufmerksamkeit schenke. Ich betrachte ihn genauer: Er wird um die fünfzig sein, lange, schmale Finger, markantes Kinn, kleine Ohren. Die akkurate Frisur wie mit der Nagelschere getrimmt, da fällt kein Haar aus der Rolle. Nicht jung

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