Südbalkon
platzt aus den Nähten.
Der Trainer klatscht in die Hände und sieht in die Runde.
»Nun, was halten wir davon?«
Betretenes Schweigen.
»Wie wollen Sie das erreichen, Frau –«
»Winter«, sagt sie.
»Frau Winter«, wiederholt er und blättert in seinen Unterlagen. »Ah, da haben wir Sie schon.«
Ich beobachte die Szene, unbeteiligt und nicht ohne Schadenfreude, während Olaf verschämt in sein Baguette beißt.
Seit zwei Tagen habe ich kaum etwas gegessen, einen Toast im Café Kurbel auf dem Weg ins Krankenhaus, ein Croissant auf dem Weg zur Gesellschaft für Wiedereingliederung, einen einsamen Joghurt, den ich im Kühlschrank gefunden hatte, das Ablaufdatum kaum überschritten.
Frau Winter erklärt, sie werde sich als eine Art Hebamme für Diplomanden nützlich machen, sie werde Studenten dabei helfen, ihr Studium abzuschließen. Es gebe da eine Krankheit, die mit der Unfähigkeit zusammenhänge, große Projekteabzuschließen, Atelophobie, und der Trainer fragt: »Davon wollen Sie leben? Wie stellen Sie sich das vor?«
Sie brauche nicht viel, sagt sie, außerdem entstünden durch die Unternehmensgründung keine Kosten, sie könne zu Hause arbeiten, im Wohnzimmer, sie habe ihr Büro auf den Knien, sagt sie, und alle lachen. Ein Büro auf den Knien!
Vorerst gehe es aber nicht um die Kosten, vorerst gehe es um den USP, sagt der Trainer und ritzt mit dem Finger die Buchstaben in die Luft. Unique Selling Proposition. Das Alleinstellungsmerkmal. Was sie denn von anderen Schreibkräften unterscheide, weshalb um alles in der Welt man sie buchen solle und nicht Lieschen Müller, was ihre Leistung einzigartig mache. Das alles will der Trainer wissen.
Frau Winter zuckt mit den Schultern, sie weiß nicht, was sie einzigartig macht oder warum man sie buchen soll. Die anderen wissen es auch nicht, also trottet sie zurück an ihren Platz.
Als der Trainer mich aufruft, bin ich zu meiner Überraschung ganz ruhig. Ich stelle mich in die Mitte des Kreises, ein Opferlamm, das der Meute den Hals darbietet, und als sich alle an mir festgestarrt haben, sage ich: »Ich weiß nicht, wie man erfolgreich wird, aber mit dem Gegenteil kenn ich mich aus. Ich werde ein Coach für Versager.«
Bleierne Stille. Bis eine herausprustet, es ist die Kleine mit den feuchten Händen. Dann lachen sie alle, bis auf den Trainer, der das Lachen mit einer radikalen Bewegung seiner Hand auslöscht.
»Wir sind nicht beim Kabarett, Frau Amsel«, sagt er. »Sie müssen uns nicht unterhalten.«
Ich mustere ihn, die dunklen Augen, die buschigen Augenbrauen,die randlose Brille. Ich fühle mich nicht gut, etwas stimmt nicht mit mir, ich lege meine rechte Hand auf den Bauch und kann meinen Herzschlag spüren, der einen ganz fremden Takt anschlägt, so als verschwöre sich mein Innerstes gegen mich.
Selma, Linda, Verena und die anderen stehen um mich herum, und obwohl sie kleiner sind als ich, sehen sie auf mich herab. Selma zupft an ihrem Seidenschal mit den Pferdehufen und sagt: Ich habe gesehen, wie dein Vater eine zerbeulte Getränkedose aufgehoben hat, die von einem Laster plattgewalzt worden ist, und Linda Wegrostek sagt, woher hast du diesen Pullover, aus der Altkleidersammlung? Die Münder der Mädchen sind geöffnet, ihre Lippen bewegen sich, doch es sind nicht sie, die sprechen. Es ist eine Synchronstimme, die den Ton liefert zu den Lippenbewegungen, und ich wundere mich, wie perfekt alles arrangiert wurde.
Selma sagt: Siehst du, das hast du davon, Raoul macht sich aus dem Staub, er interessiert sich nicht für dich, er hat dich schon längst vergessen, küsst eine andere, und das ist erst der Anfang. Eine Braunhaarige, hübsche, vielleicht auch mehrere, Blonde und Schwarze, denn er hat längst beschlossen, dich zu verlassen, eine neue Existenz zu gründen, eine richtige Existenz, mit allem Drum und Dran, während dein erbärmlicher Versuch gescheitert ist, noch ehe du in der Lage warst, das Wort »Existenzgründung« zu buchstabieren.
»Sie brauchen nicht zu weinen, alles ist gut«, sagt der Trainer und legt seinen Arm behutsam auf meinen. »So war das nicht gemeint.«
Ich greife an meine Wange, und tatsächlich: Sie ist nass. Woher kommen diese Tränen, wer produziert sie, wer pumpt sievom Herz durch den Kopf und in die Augen? Der Trainer sieht bestürzt aus, seine Hände zittern. Bestimmt hatte er sich »Existenzgründung I« leichter vorgestellt, ohne Ausflug in die psychischen Randbezirke der Teilnehmer.
In den Augen hinter den
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