Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
Vom Netzwerk:
erzählte mir von Przewalski-Pferden.Vielleicht sind sie verschwunden, weil keiner mehr an sie geglaubt hat, in einer Art sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Womöglich verschwinden auch meine Sorgen, wenn ich nicht mehr an sie glaube.
    »Fanny hat es gut«, sagt Simone. »Alle Liebe dem Kind, ist doch schön, oder?«
    Und was ist mit deiner Liebe, will ich sie fragen. Steckst du sie auch in Fanny hinein, in diese Liebesspardose, damit sie später verschwenderisch mit ihrer Mitgift umgehen kann?
    Ich beneide eine Einjährige und getraue es mir kaum einzugestehen. Weil sie so viel hat und nicht darum kämpfen muss, während ich meinen Eltern jeden Zipfel Anerkennung entreißen musste und am Ende mit leeren Händen dastand – wie die Kandidaten jener Fernsehshow, die in einer Röhre Geldscheine auffangen müssen, die von einer Windmaschine aufgewirbelt werden, und je hektischer sie nach dem Geld greifen, umso weniger bleibt ihnen am Ende.
    Um Raouls Liebe hingegen habe ich nicht kämpfen müssen, er hat sie mir zum Geschenk gemacht. Unsere ersten Treffen außerhalb der Redaktionsräume verliefen enttäuschend. Während sich seine Vitalität noch erfrischend vom maroden Mobiliar der Traueranzeigenredaktion abhob, verblasste sein Glanz bereits im ersten Café, das wir gemeinsam betraten.
    Er hatte das Café Fidelio gewählt und eine Eckbank, deren roter Kunststoffüberzug sogleich mit meinen nackten Oberschenkeln verschmelzen wollte. Es ekelte mich, und ich versuchte, so wenig wie möglich mit der Bank in Berührung zu kommen, während ich mich nach Raouls Berührung sehnte. Doch wir saßen drei Stunden da und beugten uns über ein BlattPapier, das er mit Computercodes füllte, und ich fragte mich, ob er ebenso schwer zu enträtseln war wie diese erste Botschaft.
    Raoul versuchte, mir seinen Beruf näherzubringen, das Programmieren von Software. Für ihn war alles so klar und logisch, und in seinen Augen sah ich die Verwunderung darüber, dass ich es nicht nur nicht verstand, sondern dass ich mich auch nicht dafür interessierte. Ich wollte etwas erfahren über sein Leben, seine Ziele und Träume, und er sagte: »Die Weiterentwicklung der elektronischen Krankenakte, ein Meilenstein«, und malte die Initialen seiner künftigen Firma in die Luft: LSD. Ich lachte auf. LSD?
    »Litzka Softwaredesign«, sagte er gekränkt, »was ist so lustig daran?«
    »Nichts«, antwortete ich leise und fragte mich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, Johannes aus der Wohnung und aus meinem Leben zu werfen.
    Doch ich hatte mich getäuscht. Raoul war vollkommen unmissverständlich in der Formulierung seiner Zuneigung. Er schien unsere Liebe zu definieren wie den Quellcode eines Computerprogramms.
    Bevor wir zusammenzogen, gewöhnten wir uns an, einander täglich kleine Botschaften zu hinterlassen. Ich war früher auf den Beinen als er und trank noch stets einen schnellen Espresso im Fidelio. Bevor ich aufbrach, kritzelte ich eine Nachricht in eine der Tageszeitungen. Meist im Anschluss an eine Bildunterschrift, die mir gefiel. Unterhalb eines Titels, den ich interessant fand. Oder als Zusatz zum Fernsehprogramm.
    20:00 Uhr, Wien bei Nacht. Romanze. In den Hauptrollen: Ruth Amsel und Raoul Litzka.
    Am Nachmittag konnte ich seine Antworten empfangen.Voll Vorfreude sammelte ich die Tageszeitungen ein, die auf dem Tisch neben der Vitrine mit den Kuchen auslagen. Weder die Erdbeertorte noch der Apfelstrudel konnten mich locken, ich war hungrig auf Raouls Repliken.
    Es war ein Spiel, wie alles ein Spiel war in diesen Tagen, und wir konnten die Regeln täglich ändern, wie es uns gefiel, schließlich waren wir Spieler und Schiedsrichter zugleich.
    Manchmal fand ich Fragen vor wie: Wo möchtest du niemals leben? Was machst du sonntags am liebsten? Was war deine Lieblingsspeise, als du ein Kind warst? Raouls Buchstaben waren nach rechts gebeugt, so als stemmten sie sich mit aller Kraft gegen den Wind. Ich antwortete: An einem Fluss, denn ich habe Angst vor Hochwasser, Quizshows im Fernsehen schauen und Milchreis mit Zucker . Ich bemühte mich, unsere aufkeimende Beziehung mit einer spielerischen Leichtigkeit zu betrachten und das Band zwischen ihm und mir nicht allzu fest zu knüpfen.
    Wenn ich seine Nachricht auf keinen Fall übersehen durfte, schrieb er sie auf die Seite mit den Todesanzeigen. Die kontrollierte ich als allererstes, schon aus beruflichem Interesse. Eines Nachmittags stand unterhalb der Mitteilung, dass Rosa Amlacher (97)

Weitere Kostenlose Bücher