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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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du denn?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich leise. »Ich weiß es nicht.«
    »Wenn du es nicht weißt, verschone mich mit deinen Unterstellungen. Außerdem –«, er zögert, »ist sie überhaupt nicht mein Typ. Sie gefällt mir nicht, niemals würde mir eine Frau wie sie gefallen, hast du verstanden?«
    Ja, ich habe verstanden.
    »Und wer ist dein Typ?«
    »Wer mein Typ ist?« Er starrt mich ungläubig an. »Höre ich richtig? Du fragst mich nach meinem Typ? Ist das dein Ernst?«
    »Schon gut«, flüstere ich.
    Mit einem Mal wirkt Raoul überhaupt nicht mehr krank. Forsch und mit großen Schritten betritt er den Flur des C-Traktes, stößt die Schwingtüren auf, ohne auf mich zu warten, und als ich nach ihm rufen will, stürzen sich die schweren Türen mit ihrem ganzen Gewicht auf mich.
    Eine winzige Kammer mit einem schmalen Fenster, einer Arbeitsplatte mit einem Bildschirm, zwei Drehstühlen, einemBücherregal. Pawel Pini, der Pfleger, öffnet die Tür, just in jenem Moment, als ich daran vorbeigehe.
    »Aber hallo!«, ruft er, »welch Glanz in unserer bescheidenen Hütte!«
    Die ersten freundlichen Worte an diesem Tag. Ich lächle. Sein Blick bleibt an meinem Paillettenrock haften.
    »Haben Sie sich erholt?«, fragt er.
    »Danke«, sage ich. »Auch dafür, dass Sie mich nicht verraten haben.«
    »Ach wo«, sagt er und lächelt ebenfalls. »Ich freue mich über jede Patientin, die so schnell aus dem Bett springen kann wie Sie. Das sieht man hier nicht oft.«
    Wir lachen beide, obwohl mir zum Heulen zumute ist.
    »Warten Sie einen Moment, ich glaube, ich habe Neuigkeiten für Sie.« Er verschwindet in seiner Kammer.
    »Wie heißt ihr Freund?«, ruft er.
    »Litzka«, sage ich. »Raoul Litzka. Ludwig, Ida, Theodor –«
    »Hier«, ruft Pawel, »schon gefunden!«
    In drei Schritten ist er wieder an der Tür.
    »Einzelheiten bezüglich der Diagnose darf ich Ihnen nicht mitteilen, da müssen Sie mit seinem behandelnden Arzt sprechen, Dr. Cerny. Nach der Visite hat er bestimmt Zeit für Sie. Wie ich es überblicke, ist es nicht dramatisch. Ihr Freund wird bald wieder nach Hause dürfen.«
    »Ich bin Ihnen ja so dankbar«, sage ich.
    »Bei uns ist es manchmal – ein wenig unübersichtlich«, sagt Pawel. Er lehnt am Türrahmen, die Hände lässig in den Taschen seiner Jeans, der weiße Mantel ist aufgeknöpft, darunter trägt er ein weißes Leinenhemd.
    Er sieht auf seine Armbanduhr. »Die Visite wird noch einegute halbe Stunde dauern, ich schlage vor, Sie besichtigen unsere Krankenhauskapelle. Schöne alte Fresken, das tröstet.«
    »Danke«, sage ich, »mein Bedarf an Trost ist gedeckt.«
    »Sonst kann ich Ihnen nur unseren schönen Garten anbieten.«
    »Da komme ich gerade her.«
    »Fein«, sagt er. »Dann kennen Sie ja den Weg.«
    Folgsam gehe ich zurück in den Garten, vielleicht werde ich ja die nächsten Monate hier verbringen, zwischen Notbett, Krankenzimmer und Garten hin und her spazierend, immer in der Hoffnung, auf einen Arzt zu treffen. Möglich, dass ich auch noch hier bin, wenn Raoul schon längst entlassen ist und sein altes Leben wiederaufgenommen hat.
    Diesmal gehe ich am Teich mit seinen verlogenen Seerosen vorbei.
    Ich setzte mich auf jene Bank, auf der beim letzten Streifzug die Frau mit der Turmfrisur saß, und sehe aus dem Krankenhausgarten hinaus und in den Kaminsky-Park hinein. Nur ein schmaler Kiesweg trennt die beiden Grünflächen voneinander, doch es fühlt sich an, als säße ich auf einem fremden Stern. Die Luft schmeckt metallisch, der Boden fühlt sich hart an, der Himmel hat die Farbe von Desinfektionsmittel. Aus dieser Perspektive wirkt Franz von Suppés Hinterkopf monströs, von hinten habe ich ihn noch nie betrachtet, es scheint, als hätte sich der Künstler im Verhältnis von Kopf und Körper vertan. Kurz kommt es mir so vor, als sähe ich eine Frau in einem roten Sommerkleid hinter der Büste hervorlugen, doch genauso gut kann ich mich täuschen.
    Um mich abzulenken, blättere ich in meinem Notizbuch. Ich zähle nach. In den vergangenen drei Monaten stand ichinsgesamt elfmal hinter der Büste von Franz von Suppé. Der erste Eintrag in der Rubrik Magenbuch-Klinik datiert vom 23. Mai.
    Krankenhausgarten am Kaminsky-Park.
    17 Grad, leicht bewölkt.
    3 ältere Frauen in scheinbar gutem Allgemeinzustand, 2 alte Männer, ein jüngerer Mann zwischen 25 und 30 mit Frau (Freundin?).
    Garderobe: 4x gestreifter Morgenmantel, 1x Mal weiß, 1x Pyjama. Schuhwerk: 1x Crocs, 1x Birkenstock, Rest:

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