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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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sehen.«
    »Ach ja?« Er lacht. »Und wer will mich sehen?«
    Ich hatte vergessen, mich vorzustellen.
    »Ruth Amsel«, sage ich schnell. »Sie waren so freundlich, mir den behandelnden Arzt meines Freundes zu nennen.«
    »Ach, Sie sind’s! Ich habe Sie im Garten gesucht! Wollte Sie zu Dr. Cerny bringen, als die Visite vorüber war. Ich dachte schon, Sie seien in den Teich gefallen.«
    Es tue mir leid, sage ich. Und dass ich einen dringenden Termin gehabt hätte. Dass ich angerufen, ihn aber nicht erreicht hätte. Ich bin erstaunt, wie leicht mir die Lügen über die Lippen gehen, eine nach der anderen schlüpft aus meinem Mund, ohne mich zu verraten.
    »Ich habe den Krankenbericht kopiert«, sagt er. »Wenn Sie wollen, können Sie einen Blick drauf werfen.«
    Wir verabreden uns im Küchenstudio Visconti in der Billrotstraße.
    »Ich werde da sein«, sagt Pawel.
    Doch als ich das Küchenstudio betrete, ist er nicht da, und ich lasse mich durch die Räume treiben. Ausstellungsküchen geben mir Kraft, wenn ich erschöpft bin. Die lautlosen Schubladeneinzüge, die Zebrano-Fronten, die jungfräulichen Steinplatten, auf denen noch nie ein Essen zubereitet wurde, die Induktionsherde, die noch nichts gewärmt haben. Ein Ort der Möglichkeiten, der sinnlichen Versprechen, und wenn ich zwischenden ausgestellten Modellen wandle, kommt es mir so vor, als schlummerten auch in meinem Leben unzählige Chancen, und ich bräuchte nur den Deckel von einem Kochtopf zu heben, um den Geruch eines neuen Lebens einzuatmen.
    Als Pawel schließlich erscheint, ist er größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, vielleicht lässt ihn die Hektik im Krankenhaus schrumpfen, und erst außerhalb der Mauern dehnt er sich wieder auf die ihm zugedachte Größe aus. Er trägt ein gestreiftes Hemd, Jeans und Sneakers. Ohne weißen Kittel sieht er aus wie ein Student. Ich erwarte ihn an einer cremeweißen Küchenbar in einem der hinteren Ausstellungsräume. Als er mich entdeckt, erhellt sich sein Gesicht, und ich freue mich, weil er sich freut. Er sieht sich um und berührt die Front der weißen bulthaup-Küche, die in ihrer Arroganz beinahe die gesamte Breite des Raumes einnimmt.
    »Möchte nicht wissen, was das kostet«, sagt er. »Ziehen Sie um?«
    Ich sei dabei, mich selbständig zu machen, sage ich.
    »Guter Geschmack«, sagt Pawel und lächelt. Für seinen Geschmack ausreichend Small Talk, denn er zieht bereits ein Papier aus seiner Hosentasche.
    »Symptome: Hyperalgesie, Allodynie, Dysästhesie«, liest er vor und blickt auf. »Verstehen Sie das?«
    Ich schüttle den Kopf. Bis zur Dermatologie habe ich es nicht geschafft.
    »Hautschmerzen. Ihr Mann leidet an einem neuropathologischen Symptombündel.«
    Die Formulierung Ihr Mann erschreckt mich beinahe ebenso wie der Begriff Symptombündel . »Wir sind nicht verheiratet«, sage ich schnell.
    »Sie wirken so vertraut«, sagt Pawel, und ich frage mich, wie er das behaupten kann, er hat uns doch kein einziges Mal zusammen gesehen.
    »Stellen Sie sich vor, ich würde Sie mit einem Wattebausch am Unterarm berühren«, sagt Pawel.
    Ich denke: schön.
    Pawel sagt: »Und sie schreien auf vor Schmerz.«
    »Wirklich?«
    »Wenn sie Allodynie hätten. Haben Sie ja zum Glück nicht.«
    Eine Küchenberaterin im Missoni-Kleid, schmal und biegsam wie eine Weide, stöckelt an uns vorbei. Andachtsvoll tippt sie auf die Front einer offenen Schublade, eine zärtliche Geste mit Zeige- und Mittelfinger. Die Lade schließt sich mit einem sanften Plopp.
    »Wetten, dass es Küchensounddesigner gibt«, flüstert Pawel. »Das war doch eindeutig ein G, haben Sie das auch gehört?«
    Ich lächle. Der Mann hat Ideen.
    »Sind Sie Italiener? Wegen ihres Nachnamens.«
    »Sehe ich so aus?«
    Tatsächlich sieht Pawel nicht so aus, an ihm ist alles hell: Das Haar, die Haut, ein cremefarbener Mann vom Scheitel bis zur Sohle, er passt exakt in diese Küche, er ist der Missing Link zwischen Produkt und Mensch, sie sollten ihn als Küchenkaufbeschleuniger einstellen.
    »Ganz daneben liegen Sie nicht«, sagt er. »Meine Mutter hatte sich auf Sardinien verliebt.«
    »Ihr Vater ist Italiener?«
    »Südtiroler. Er hatte einen Ferienjob auf der Insel. Barkeeper.«
    »Ist es schlimm?«, frage ich.
    »Dass sich meine Mutter verliebt hat?«
    »Die Krankheit. Allo…«
    »Allodynie?« Er presst die Lippen aufeinander, setzt seinen professionellen Gesichtsausdruck auf. Pfleger Pawel, Notfall auf der ersten Internen.
    »Schon möglich, dass es von

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