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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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allein wieder vergeht. Kann aber auch was Psychisches sein«, sagt er. »Dann ist es hartnäckiger.«
    Ich nicke und weiß doch nicht mehr als zuvor. Wenn es etwas Psychisches ist, hat es etwa mit mir zu tun? Bin ich schuld an Raouls Symptombündel, weil ich mich geweigert habe, Herrn Walter um Unterstützung für sein Projekt zu bitten? Weil ich immer seltener beim siebten Flittchen mitspiele? Weil ich an seinem Leben zu wenig Anteil nehme?
    »Sie machen sich Sorgen«, sagt Pawel. Eine Feststellung, keine Frage. »Das verstehe ich gut. Eine Krankheit betrifft vor allem die Angehörigen. Um den Kranken kümmert man sich ohnehin.«
    Er erhebt sich, eine lange schlanke Gestalt, bewegt sich wie selbstverständlich in diesem Raum. Er betastet die Fronten der Objektküchen, die silbernen Abdeckhauben, die Arbeitsplatten aus Granit, seine Schulterblätter zucken unter dem Hemd wie gestutzte Flügel. Es bereitet mir Freude, ihm zuzusehen.
    »Sehen Sie hier«, sagt er und deutet auf eine Multifunktionswand. »Auch diese Küche besteht aus mehreren Hautschichten.«
    Er kniet sich hin, öffnet eine der Schubladen und inspiziert das Innere.
    »Aufgerautes Holz«, sagt er. »Buche. Leicht körnige Oberfläche. Bestimmt schmutzabweisend.«
    Er winkt mich zu sich. »Ich möchte, dass Sie das fühlen«, sagt er.
    Ich klettere vom Barhocker und knie mich neben ihm auf den Boden. Fehlt nur, dass wir die Hände falten und ein Vaterunser sprechen für den Schöpfer des modernen Küchendesigns. Schon hat Pawel seinen Arm in die Schublade versenkt. Ich tue es ihm gleich.
    »Spüren Sie das Holz auf der Haut? Fühlen Sie seine Wärme?«, sagt Pawel.
    In der Tiefe der Lade treffen sich unsere Hände, ganz plötzlich, so als hätten sie sich ohne unser Wissen verabredet. Ich schrecke zurück, doch Pawels Hand setzt nach und greift nach meinen Fingern, noch bevor ich den Arm aus dem Schrank ziehen kann.
    »Das wollte ich vom ersten Augenblick an«, flüstert er heiser, während er über mein Handgelenk streicht, und ich frage mich, von welchem Augenblick er spricht. Ich erinnere mich an jenen Moment, in dem ich aufwachte und mich im Notbett am Krankenhausgang wiederfand, und an seinen Kopf erinnere ich mich, als er sich über mich beugte, und an seinen weißen Mantel, aus dem ein buntes Sommershirt hervorblitzte.
    Pawels Hand ist deutlich größer als meine, sanft bedeckt er meinen Handrücken mit seiner Handfläche. In meinem Inneren breitet sich eine dickflüssige Hitze aus, die meinen Bauch tränkt und durch die Adern kriecht, bestimmt ist auch das eine Krankheit, wenn man tut, was man nicht darf, und es sich dennoch richtig anfühlt. Pawel soll mir sagen, wie diese Krankheit heißt, denn was einen Namen hat, das kann man auch behandeln, und wenn ich gelbe längliche Tabletten schlucken muss,dann werde ich es tun, und wenn ich keinesfalls Milch dazu trinken darf, dann werde ich seinen Rat befolgen.
    Aus einem fernen Raum des Küchenstudios dringen Lachen und das Klimpern von Gläsern zu uns herüber. Wir haben keine Zeugen bis auf die Armada an Maschinen: der Kühlschrank mit Crushed-Ice-Spender, der Geschirrspüler mit Kristall-Automatik, die Mikrowelle mit Sicherheitsverglasung, alle werden so tun, als hätten sie nichts gesehen.
    »Wer die Haut berührt, der dringt in das Wesen ein«, flüstert Pawel. »Das Äußere ist zugleich das Innerste. Ich berühre deine Seele.«
    Er hat du gesagt – und meine Seele, oder was immer er berührt, ist in Aufruhr. Was sieht dieser Mann in mir?
    »Ich bin bei meinem Großvater aufgewachsen«, flüstert Pawel und zeichnet mit der Spitze seines Mittelfingers die Adern auf meinem Handrücken nach. »Bei meinen Eltern konnte ich nicht bleiben, sie wollten in Sassari eine Bar eröffnen. Mein Großvater band mich am Gitterbett fest, wenn er wegging. Er hat es nicht böse gemeint, aber das macht es nicht besser.«
    Ein trauriger Monolog, den er an die Multifunktionswand richtet, und ich möchte ihn trösten, das Kind, das er war, in den Arm nehmen und wiegen, ich sänge ihm sogar ein Lied vor, wenn ich eines wüsste. Lässt sich das wiedergutmachen, möchte ich fragen. Auf dem Schrank, vor dem wir knien, ist ein Aufkleber befestigt. Für mehr Fußfreiheit kann der Sockel versetzt werden.
    Pawel lässt meine Hand los, versenkt seinen Arm neuerlich in der Schublade. »Ganz hinten ist es wesentlich kühler«, sagt er. »Magst du auch?«
    Er rückt zur Seite, ein Gentleman. Ich fühle mich wie

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