Südbalkon
sind da Mitglied«, sagt sie. »Das verpflichtet.«
Ich fühle mich, als hätte ich in einem vegetarischen Restaurant ein blutiges Steak bestellt.
»Wir haben nur eine ethisch korrekte Version«, sagt die Frau etwas pikiert.
Sie zieht eine weiße, armselig dünne Stoffpuppe aus einer Wühlkiste. Die Puppe ist haarlos, Mund und Augen sind mit Filzstift aufgemalte Kreuze. Ihre Arme und Beine sind lang und seltsam verknotet. Sie sieht zum Gotterbarmen aus.
»Die haben wir jetzt im Angebot für neun neunzig«, sagt Mireille Mathieu und drückt mir die Puppe in die Hand. Am Hinterteil der Puppe ist die Waschanleitung befestigt, die so lang ist wie ein drittes Bein. Waschbar bei dreißig Grad in der Maschine, nicht schleudern, Handwäsche empfohlen. Die Puppe trägt auf ihrem Rücken eine mit einem Klebeband fixierte Plastikschachtel.
»Da sind die Herz-Pins drin«, sagt die Verkäuferin. Die könne man nach Belieben auf der Puppe verteilen, nicht nur in der Herzgegend übrigens. Und das wirke dann.
Auf mein »Und zwar wie?«, antwortet Mireille Mathieu: »Ausgezeichnet.« Herzchen pinnen, dabei fest an den Adressaten denken. Dem werde dann, so die Theorie, ganz warm ums Herz.
Ich sehe die Puppe ratlos an. Mit einem Liebesverstärker kann ich nichts anfangen. Ich habe vor, mich an Judith zu rächen, weil sie sich schamlos bei meinem Leben bedient hat. Aus Mangel an Alternativen beschließe ich, die Puppe dennoch mitzunehmen. Die Herz-Pins lassen sich durch Stecknadeln oder Zahnstocher ersetzen.
Auf dem Weg zur Kasse fallen mir die einarmigen Banditen an der Stirnseite des Raums ins Auge. Sie sind wie der Boden in dezentem Schwarz gehalten. Die Geräusche, die sie absondern, ähneln jenen ihrer grellen Brüder in den Casinos. Als ich mich nähere, höre ich das Klirren der Münzen, die in einen Automaten fallen, ein Mann betätigt den Hebel.
Ich sehe zunächst seinen Rücken, er trägt ein kariertes Hemd und eine Freizeithose mit Gummibund. Als er den Kopf wendet und ich sein Profil erhasche, tritt der Bekannte-am-falschen-Ort-Effekt ein. Ich weiß, dass ich diesen Mann kenne, kann ihn aber nicht zuordnen. Sein Name liegt mir auf der Zunge und will dort partout nicht runter.
Auf dem Automaten steht Angel’s Delight . Pling! Kraschsch. Engel hatte ich mir dezenter vorgestellt. Die Räder mit den Symbolen rattern. Stillstand. Der Mann hat kein Glück. Eine Sonne, einen Engel, eine undefinierbare Gestalt mit roten Augen und Superman-Umhang.
Jetzt weiß ich es. Das ist Herr Othmar. Herr Othmar in Freizeitkleidung. Ich bin ernüchtert. Er schwitzt, sein Haarkranz klebt an seinem Kopf. In der Hand hält er einen Getränkebecher, der zur Hälfte mit Münzen gefüllt ist. Er steckt zwei Münzen in den Automaten und observiert das Display.
»Herr Othmar«, sage ich.
Er wirft mir einen flüchtigen Blick zu.
»Na sowas, das Fräulein Ruth Barbara«, sagt er und betätigt den Hebel. Als hätte er mich hier erwartet. »Wir hatten ja schon länger nicht mehr das Vergnügen.«
»Ich bin im Gründerprogramm«, sage ich und ärgere mich, weil ich mich auch noch rechtfertige. »Und das hier?«, sage ich und deute auf den Apparat. »Ein Freizeitvergnügen?«
»In gewisser Weise«, sagt er und grinst. »Ich stimme das Schicksal gnädig.«
»Das funktioniert?«
»Natürlich funktioniert es. Drei Engel – und alles ist geritzt.«
»Schon reich geworden?«
Er lacht. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man hier Geld gewinnt.«
Die Verkäuferin, die sich uns mit ihrem Staubwedel angenähert hat, fällt in sein Lachen mit ein.
»Geld!«, ruft sie aus, in ihrer Stimme liegt Spott.
»Es handelt sich um ein virtuelles Vermögen, das für einen arbeitet und Zinsen abwirft«, doziert Herr Othmar. Er senkt die Stimme. »Engelsenergie«, sagt er.
»Wir alle haben ein Konto auf der Schicksalsbank«, sagt die Verkäuferin. »Wenn dort nichts liegt, können Sie auch nichts abheben.«
Die beiden sind einer Meinung, das ist nicht zu überhören.
»Und was machen Sie damit?«, frage ich ihn. »Ich meine, mit der Engelsenergie.«
»Sie denken zu profan«, sagt Herr Othmar. »So kommen Sie nicht voran in Ihrem kleinen Leben.«
Das reicht, ich habe genug gehört. »Ich muss dann mal«, sage ich.
Plötzlich explodiert etwas in ihm. »Alles Tand da draußen!«, schreit er und deutet auf den Parkplatz hinter den Glasscheiben. »Sie glauben, das ist das richtige Leben? Täuschen Sie sich bloß nicht. Sie glauben doch nicht im Ernst,
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