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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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worden.
    »Er hat nicht angerufen!«, sagte er und ließ sich in seinen Ledersessel fallen wie in Gegenwart von jemandem, dem er Lässigkeit demonstrieren musste. »Er war da. Er war da. Er war da.«
    Seine rote Krawatte lag halb auf dem Tisch. Vocke beugte sich vor und sein ordentlich rasiertes Gesicht duftete schlicht. Ich beugte mich ebenfalls vor. Es gelang ihm nicht zu verbergen, dass er meine Fahne bemerkte. Ich wusste, dass ich eine Fahne hatte, obwohl ich mir die Zähne geputzt hatte. Ute machte mich jedes Mal darauf aufmerksam, wenn ich Bier und Schnaps getrunken hatte und am Morgen mit ihr frühstückte. Vielleicht hatte ich heute auch keine Fahne und den Filialleiter widerte nur mein unrasiertes Gesicht an. Er ließ sich zurückfallen, schlug die Beine übereinander und sagte: »Er ist selber vorbeigekommen.«
    »Das hab ich verstanden«, sagte ich.
    Er sagte: »Und zwar am Donnerstag. Sonst noch was?« Er war hier der Chef, er kehrte zurück in seine Rolle.
    Und wir Banken, wir schützen unsere Kunden, unsere Kunden sind Könige, wir erteilen nicht einfach so Auskünfte an unrasierte, unangemeldete Polizisten.
    »Haben Sie ihn gefragt, was er mit dem Geld vorhat?«
    »Nein.«
    »Interessiert Sie das nicht? Vielleicht geht er zu einer anderen Bank.«
    »Wohl kaum.«
    »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Kurz. Es ist sein Geld, er kann es abheben, wann er will, das wissen Sie doch.«
    »Das weiß ich. Und einen Tag später, am Freitag, kam er wieder, um das Geld abzuholen. Wie haben Sie es ihm ausbezahlt? In kleinen Scheinen?«
    Das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer, sagte:
    »Gleich«, und legte auf.
    Lausige Vorstellung. Da trug er extra einer seiner Angestellten auf, bei ihm anzurufen und einen dringenden Termin vorzutäuschen, und dann spielte er die Situation nicht einmal aus.
    Ich stand auf. Sofort erhob er sich ebenfalls.
    »Hundertmarkscheine?«, sagte ich. Er sagte: »Hunderter, Fünfziger…«
    »Wie hat er das Geld transportiert?«
    »In einem Rucksack. Ich hab es leider eilig, Herr… Sind Sie dann so weit?«
    Ich sagte: »Wie sah der Rucksack aus?«
    »Das weiß ich nicht.« Er ging zur Tür und öffnete sie.
    Ich ging an ihm vorbei in die Schalterhalle und drehte mich zu ihm um. »Dann würde ich Sie bitten, in zwei Stunden im Polizeirevier zu sein.«
    Einen solchen Satz hatte ich vor zwanzig Jahren das letzte Mal gesagt, als ich noch auf Streife war und Phasen von Wichtigtuerei hatte.
    Die Bankkunden sahen zu uns her, die Angestellten nur sehr kurz.
    »Der war schwarz, der Rucksack«, sagte Vocke. Zu seinem weißen Hemd und der roten Krawatte trug er hellblaue Jeans. Leute, ich bin der Eberhard, ich bin der Chef, aber lässig, haha.
    »Hat er ihn sich umgeschnallt?« Vocke sah mich an.
    »Hat er sich den Rucksack umgeschnallt oder hat er ihn in der Hand getragen?«
    »Was?«
    Ich blickte zur Uhr an der Wand.
    »Er hat ihn… ich glaub, er hat ihn… er hat ihn… Er hat das Geld reingetan, dann hat er ihn zugemacht und dann… dann hat er ihn so rüber, über die Schulter… Aber dann… ja, dann hat er ihn in die Hand genommen, genau, wie eine Tasche. Genau. So ist er raus. Den Rucksack in der Hand.«
    »Rucksack in der Hand«, sagte ich. Dann sagte ich danke und ging.
    Ein Lastwagen hielt an einer roten Ampel und seine Abgase fegten den Duftschweif von Vockes schlichtem Rasierwasser weg.
    Der Mann, der sein Leben auf einem Schemel in einem Zwölf-Quadratmeter-Raum verbracht hatte, entpuppte sich als schlauer und lässiger Trickser. Nachdem er offenbar einige Tage dazu gebraucht hatte, einen Plan zu zimmern, tauchte er am Donnerstag in seiner Bank auf, um anzukündigen, dass er am nächsten Tag zwanzig Mille haben wollte, in Hundertern und Fünfzigern. Niemand stellte Fragen, und wenn, dann hätte er jederzeit sagen können, er wolle seine Werkstatt renovieren, das hätte ihm jeder geglaubt. Was freilich absurd gewesen wäre.
    Eine Veränderung war das Letzte, was sich Grauke auf seinem Schemel gewünscht hätte. Bis jetzt. Und weil er schon mal in der Nähe war, besuchte er seine Frau. Garantiert stritten sie. Vielleicht hatte er sich inzwischen so eingelebt in seine Rolle, dass er ihr vorspielte, er würde nachgeben, würde wieder zurückkommen.
    Als täte ihm alles sehr Leid. Dann sagte er, ich geh schnell ein Bier trinken, mach dir keine Sorgen! Falsch. Sie wäre ihm sicher nachgegangen. Oder ihre Schwester, die ja dabei war. Falsch. Grauke ging zuerst in den »Rumpler« und das

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